Theater:Regieausfall

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Oliver Reese, Noch-Intendant in Frankfurt, hat für das Theater in der Josefstadt Wien Thomas Bernhards Roman "Auslöschung" adaptiert. Und führt auch selbst Regie - zumindest tut er so. Eigentlich vertraut er nur auf seine Top-Besetzung.

Von Christine Dössel

"Auch hier?", begrüßt die toupierte Dame in Reihe drei ihre Sitznachbarin. Darauf diese, parfümumwölkt: "Ich lass mir doch einen Thomas Bernhard nicht entgehen!"

Ja, so ist das im schönen alten Wien, da haben Theateraufführungen noch den Stellenwert von Bundesliga-Spielen - nur dass man sich besser anzieht -, und selbst ein widerborstiger Nestbeschmutzer wie Bernhard wird leidenschaftlich hassgeliebt. Am Theater in der Josefstadt, wo das Interieur so gediegen ist wie das Publikum, spielen sie dessen Roman "Auslöschung" in einer kompakten, den Herkunfts- und Nazihass des Ich-Erzählers forsch herausarbeitenden Fassung von Oliver Reese. Als sei von dem Intendanten des Frankfurter Schauspiels, der 2017 Nachfolger von Claus Peymann am Berliner Ensemble wird, auch inszenatorisch ein entschiedener Zugriff zu erwarten, hat man Reese auch mit der Regie betraut. Oder vielleicht gab's Reeses Romanadaption auch nur im Doppelpack mit Reese als Regisseur. Denn Reese verkauft sich nun mal gerne als Regisseur.

Den Bernhard in der Josefstadt inszenierte er zur gleichen Zeit wie Peymann das neue Stück von Peter Handke am Burgtheater - ein nach Wien verlagertes Lokal-Derby des alten und künftigen BE-Chefs, ausgefochten auf der Weltekelgrundlage zweier österreichischer Dichterlegenden.

Hier wie dort: (Alt-)Herrentheater. Wobei, das muss man sagen, bei Peymann wesentlich mehr Theater - und auch Leidenschaft - los ist als bei Reese. Der nämlich inszeniert so gut wie gar nicht, er tut nur so. Keine Bilder, keine Bernhard-Exaltationen, null szenische Fantasie. Reese verteilt die Rolle des alles Familiäre auslöschen wollenden Franz-Josef Murau auf vier Personen, besetzt diese mit Top-Schauspielern und lässt sie machen, heißt: sprechen. Bis zur Pause tun sie das vor dem roten Vorhang, danach - wenn Murau zur Beerdigung der Eltern nach Wolfsegg fährt - zwischen zwei nach hinten spitz zulaufenden Wänden mit Holzhaufentapete. Der vierfache Murau, das sind: der immer erfreuliche Udo Samel mit bauchigem Stolz, der exzentrisch die Vokale ziehende Wolfgang Michael mit seiner famosen Hingucker-Visage, der kantige Martin Zauner, der so schön verdrießlich sein kann, und der verwuschelt theatralische Christian Nickel, jünger und als Murau angstvoller als die anderen. Ihnen gebührt Lob - und das Regieausfallhonorar.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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