Theater:Prospero in der Bonsai-Welt

Andreas Kriegenburg inszeniert in Frankfurt Shakespeares "Sturm".

Von Jürgen Berger

Schiffbruch im Mittelmeer. An Bord italienische Adlige, unter ihnen der König von Neapel und der Herzog von Mailand. Sie kommen von einer opulenten Hochzeit in Tunis, jetzt sind sie Strandgut auf einer Insel und in der Hand von Prospero, dem ehemaligen Herzog von Mailand. Der hätte allen Grund, den jetzigen Herrscher zu hassen: seinen Bruder, der ihn aus der Stadt jagte und auf die einsame Insel verbannte, auf der er nun mit Zauberstreichen das adlige Strandgut piesackt. Prospero, ein humanistischer Büchernarr, steht für den gebildeten Europäer, der gerne ein Menschenfreund wäre, dann aber doch mit imperialer Geste über alles herrscht. So einer darf sich auch Sklaven halten wie den dienstbaren Luftgeist Ariel und diesen "barbarischen" Sohn einer Hexe, Caliban.

"Der Sturm" ist Shakespeares letzter überlieferter Theatertext, und es ist nicht zu übersehen, dass der vor 400 Jahren verstorbene Autor seinem europäischen Personal eine Portion rassistischen Hochmut mitgegeben hat. Spricht der italienische Adel über Afrika, klingt das, als lebten dort animalische Wilde. Fertiggestellt hat Shakespeare den Text vermutlich 1611, als Europa schon damit beschäftigt war, Südamerika unter sich aufzuteilen und Sklaven von Afrika über den Atlantik zu schiffen. Das alles schwingt mit im Text. Wollte man ihn als Parabel auf die Spätfolgen dieser frühen Kolonialisierung inszenieren, müsste man sich allerdings einiges einfallen lassen. Dazu ist "Der Sturm" dann doch zu sehr ein oszillierendes Zauberspiel, das sich eindeutigen Zuordnungen entzieht und das Theater auf ganz eigene Art fordert: Wie dieses traumhafte Inselreich inszenieren, ohne dass es putzig wirkt? Und wie den Schiffbruch gleich zu Beginn?

"Der Sturm" ist ein rätselhaftes Zauberspiel, aber es klingt auch schon der Kolonialismus an

Andreas Kriegenburg, der einmal mehr sein eigener Bühnenbildner ist, löst das in seiner Inszenierung am Schauspiel Frankfurt mit einem imposanten Bild. Da ist eine riesige Schiffswand, über der ein Netz mit den Schiffbrüchigen hängt. Darunter erstreckt sich eine Wasserlandschaft mit einem Konzertflügel im Vordergrund. Dann hackt Franziska Junge irre in die Tasten, und die Schiffbrüchigen im Netz zucken, als würden ihnen Stromstöße verpasst. Das Eröffnungsbild verspricht einen großen Abend. Gepasst hätte das insofern, als Andreas Kriegenburg gerade der XIII. Europäische Theaterpreis in der Kategorie "Theatralische Realitäten" zuerkannt wurde. Die Preisverleihung findet am Samstag im rumänischen Krajowa statt. Eine gelungene "Sturm"-Inszenierung hätte einer jener "originellen und innovativen" Beiträge zum europäischen Theater sein können, für die der Preis verliehen wird.

Die Frankfurter Theaterrealität sieht dann aber so aus, dass die Pianonummer gleich zu Beginn der stärkste Moment des Abends bleibt. Die kolossale Schiffswand verschwindet, danach blickt man auf eine weite, von einem windgebeugten Baum dominierte Wasserlandschaft. Ein Bonsai- und Origami-Idyll, in dem alles durchscheinend weiß ist bis hin zu den Gesichtern des Inselpersonals. Franziska Junge etwa wandelt fortan als Zombie-Geisha mit einer Elfenschar und einem knallroten Schirmchen durchs geflutete Inselreich, als sei sie Madame Butterfly. Katharina Bach ist als Miranda ein Naivchen und zieht sich mit Ferdinand (Nico Holonics als Lackaffe) nach einem ersten Anfall von Verliebtheit zum Lesen in eine Astgabel zurück.

Kriegenburg verliert sich in verkünstelten Bildfindungen. Was er mit Shakespeares Figuren (Übersetzung: Frank-Patrick Steckel) in dieser Japan-Welt im Sinn hat, erschließt sich nicht. Dass Prospero am Ende zwar jeder Herrschergeste entsagt, seine Widersacher davor aber spüren lässt, wo der Bartel den Most holt, geht vollständig unter. Man weiß nie so recht, ist Felix von Manteuffel nun ein grummelnder Gottvater, den es nach Fernost verschlagen hat, oder doch ein missmutiger Heinz Schenk, dem der Äppelwoi ausgegangen ist. Caliban wiederum kommt als Robinson Crusoe in Unterhose daher. Die lässt Michael Benthin am Ende runter und genießt staunend die nackte Freiheit. Auch so ein putziges Bild.

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