Theater:Phantomschmerzen

Samuel ist tot - und mischt in Köln trotzdem auf der Bühne mit: in der Adaption von Jonas Hassen Khemiris Roman "Alles, was ich nicht erinnere".

Von Cornelia Fiedler

Er zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Roman- und Theaterautoren Schwedens: Jonas Hassen Khemiri, Jahrgang 1978. Sein postmigrantisches Identitäts-Verwirrspiel "Invasion!" wurde an deutschen Theatern als Entdeckung gefeiert. Auch Khemiris 2015 mit dem renommierten August-Preis ausgezeichneter Roman "Alles, was ich nicht erinnere", auf Deutsch erschienen 2017, bringt Klischees, Lebenslügen und Erinnerungen ins Wanken. Charlotte Sprenger hat den Monolog-Reigen über den Unfalltod eines jungen Mannes jetzt in Köln für die Bühne adaptiert: jugendlich, unmittelbar und bonbonbunt.

Ein riesiges, naturalistisch geädertes, wabbeliges Herz dominiert die komplett rote Bühne von Aleksandra Pavlović, manchmal fängt es an, unheimlich zu pulsieren. Drum herum streiten sich drei Frauen und zwei Männer in Interviews um die Definitionsmacht über das Leben und Sterben von Samuel, einem lebenshungrigen, sympathisch vergesslichen 26-Jährigen. Klar, dass alle, ob Mutter, Exfreundin, Mitbewohner oder beste Freundin, viel mehr über sich, als über den Toten preisgeben.

Sprenger und die Dramaturgin Julia Fischer holen Samuel, den Abwesenden, als Figur auf die Bühne. Max Bretschneider sorgt anfangs für vielsagende Spannung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, wenn er den geschönten Bericht seiner besten Freundin Panther (Ines Marie Westernströer) mit Piepsstimme nachäfft. Doch bald steigt Samuel in das Reenactment der Erinnerungen ein: Wie er und sein Kumpel Vandad (Johannes Benecke) halsbrecherisch ihr "Erfahrungskonto" füllen; wie die Demenz seiner Oma ihn ängstigt, wie er sich vor dem Amt für Migration in die Dolmetscherin verliebt; wie er sich irgendwann von allen verraten fühlt. All das wird plastischer durch Samuels physische Präsenz. Das kluge, verunsichernde literarische Prinzip des Romans, dass man im Kopf ständig neue Phantombilder eines Abwesenden zusammenbaut und verwirft, setzt diese Bühnenfassung allerdings außer Kraft.

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