Theater:Pfirsichblüten unterm Kruzifix

Schauburg

Mit Hut oder Tuch wird Uwe Topmann zu Mann oder Frau.

(Foto: Christian Kleiner)

Die Münchner Schauburg erzählt von Prinzen, Geschlechterklischees und der religiösen Radikalisierung eines Jugendlichen

Der heimgekehrte Kriegsheld König Hamed ertappt seine Frau mit einem anderen. Zornig verbannt er daraufhin sämtliche Frauen aus seinem Reich, mit Ausnahme seiner Mutter. Prinzessin Sherifa aus dem Nachbarland aber ist neugierig auf dieses Land ohne Frauen. Weshalb sie es als "Prinz Sharif" verkleidet erkunden will. Zuvor muss sie aber noch lernen, wie man als Mann "geht, trägt und scherzt". Es sind dies die schönsten und humorvollsten Szenen in "König Hamed und das furchtlose Mädchen", eine Inszenierung, die Schauburg-Intendantin Andrea Gronemeyer aus Mannheim mit nach München gebracht hat.

Das junge Theaterpublikum im Großen Saal verfolgt begeistert insbesondere die pantomimischen Szenen in dem Erzähltheater, in denen ein männlicher Schauspieler (Uwe Topmann) eine junge Frau spielt, die wiederum einen Mann, den "Prinzen Sharif" vorstellen will. Das erinnert an die besten Momente in Blake Edwards' Verwechslungskomödie "Victor/Victoria", in dem Julie Andrews einen Mann spielt, der auf der Bühne vorgibt, eine Frau zu sein. Ähnlich wie weiland James Garner in den scheinbaren Mann verguckt sich auch König Hamed in den ungewöhnlich liebenswerten Prinzen. Aber: "Kann denn ein Mann Lippen haben wie Pfirsichblüten?" fragt der in seinem Rollenverständnis arg verunsicherte König seine Mutter. Die schlägt vor, den vermeintlichen Prinzen auf seine "männlichen" und "weiblichen" Eigenschaften hin zu prüfen. Dabei genügen Peter Hinz, Cédric Pintarelli und Uwe Topmann lediglich Tücher, Trommeln und Gesang, um in die diversen Männer- und Frauenrollen zu schlüpfen. Rhythmisch-szenisch setzen sie das um, was Mohamed El Agrasy vom Bühnenrand her in Arabisch erzählt. "Hast du das denn verstanden?" will ein junger Zuschauer von seinem Nebenmann wissen. "Schon. Aber das auf der Bühne war viel besser", gibt der zurück. Als Zuschauer bedauert man fast die versöhnliche Auflösung der Geschichte. Zu witzig war bis dahin das Vexierspiel mit den Geschlechterklischees vom starken Mann und der schwachen Frau. Barbara Hordych

Auch eine Übernahme aus Gronemeyers Mannheimer Zeit ist "Märtyrer" von Marius von Mayenburg, allerdings nicht inszeniert von der Intendantin selbst, sondern von Daniel Pfluger. Mayenburg ist einer der begabtsten Komödienschreiber, die derzeit in Deutschland leben. Das Stück firmiert auch als Komödie. Und ist auch lustig. Kaum subtil, aber immer wieder lustig. Doch an der Schauburg wirkt es nun wie eine Art forcierte Brachial-Pädagogik.

Benjamin liest in der Bibel. So intensiv, dass er bald fast nur noch in Bibelversen redet. Seine Mutter, die wunderbare Monika-Margret Steger, sieht das lange eher als pubertären Reflex, so in dem Sinne, ich bin seine Mutter, ich muss ihn nicht verstehen. Verstehen will ihn die Vertrauenslehrerin Erika, die, um Benjamin argumentativ begegnen zu können, bald selbst in der Bibel versinkt, worauf der mit ihr liierte Sportlehrer das Weite sucht. Die beiden Figuren sind Schablonen einer Farce, die Pfluger nicht zulässt; ihnen zur Seite steht der Schuldirektor, der mehr an Erikas Aussehen als an ihren pädagogischen Erfolgen interessiert ist - Sexismus ist also auch drin.

Benjamin fordert die Abschaffung von Bikinis im Schwimmunterricht und kriegt sie; er fordert die Kritik an der Evolutionstheorie im Biounterricht und kriegt sie; er will das Bein des verkrüppelten Schulkameraden Georg messianisch ins Reine bringen und schafft es nicht. Immerhin resultiert aus diesen handauflegenden Heilungsversuchen beim Mädchen Lydia die Erkenntnis, Benjamin sei schwul und deshalb nicht scharf auf sie, auch wenn er einmal kurz die Hände auf ihre Brüste legt.

Wo Mayenburg überdreht, bleibt Pfluger ernst; aber eine Farce braucht kein Argument. Wird die Inszenierung ernst, braucht es Argumente. Und da entsteht an der Schauburg doch stark der Eindruck des rein Postulierten, Vorgeführten. Natürlich, Pan Aurel Bucher (Benjamin) ist ein junger Schauspieler, der jede Aufmerksamkeit geradezu ansaugt. Das weiß er auch. Und tatsächlich gehen die jugendlichen Zuschauer - die Aufführung ist ab 15 Jahren empfohlen - seinen Weg in den vollkommenen, irrealen, aus der Welt herausgefallenen, religiösen Fanatismus mit, erschrecken beim Kuss mit Georg und wenn Benjamin sich nackt im Sexualkundeunterricht zeigt. Sie sind voll dabei. Aber einen Alternative gibt es hier eh nicht. Friss es so, oder schau's dir nicht an. Egbert Tholl

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