Theater:Paradies mit Fleißsternchen

Theater: Bevor man ins Land des Glücks darf, heißt es warten: Schauspieler geben in "Welcome to Paradise" Flüchtlingen und Asylhelfern eine Stimme.

Bevor man ins Land des Glücks darf, heißt es warten: Schauspieler geben in "Welcome to Paradise" Flüchtlingen und Asylhelfern eine Stimme.

(Foto: Gabriela Neeb)

Regisseurin Karen Breece hat sich auf die Spuren von Flüchtlingen begeben - und einen Theaterabend daraus gemacht, der besser ein Hörstück geworden wäre

Von Sabine Leucht

Einige Sitzreihen im Gemeindesaal der St. Matthäus-Kirche schauen einander an. Dieser Transitort inmitten der Stadt, vor dem am Abend Obdachlose schlafen, sieht zur Zeit aus wie der Wartesaal einer Behörde. Nur dass in den Gängen zwischen den Stühlen Schauspieler gehen: In leisen Sneakers und Khaki-Jeans auf den Spuren von Flüchtlingsschicksalen jenseits von Hungerstreiks und Bootsunglücken. Denn Regisseurin Karen Breece hat in ihrer Koproduktion mit dem Volkstheater dorthin geschaut, wo die TV-Kameras wegschwenken, und hat etliche Menschen nach ihren Erfahrungen in und mit Deutschland befragt - vom Neuankömmling in der Bayernkaserne bis zum Heimatlosigkeits-Routinier, der nach zwanzig Jahren Germany noch immer die menschliche Wärme vermisst. Aber auch Anwälte, Mitarbeiter der Ausländerbehörde und ehrenamtliche Asylhelfer kommen zu Wort. Der Abend gibt Einblick in Lebenstragödien, Statistiken, bürokratische Fallstricke und Sackgassen wie jene der Identitätsverschleierung, die geradewegs ins Duldungs-Gefängnis führt, wo man aufgrund des Arbeitsverbot "zum ewigen Sozialleistungsbezug verdammt" ist. Traumata treffen auf Beschwerden über mangelnde Deutschkenntnisse und dankbare Menschen auf Zeitgenossen, die die monatlichen 326 Euro in der Disco versaufen.

"Welcome to Paradise" skizziert ein überreich facettiertes Bild der deutschen "Willkommenskultur". Und im Einzelnen sind die zu zehn Stimmen gebündelten Interviews sehr hörenswert. Manchmal aber verfällt die Produktion in eine Schulfunk-Attitüde, die dem Publikum einen so immensen Nachholbedarf an Informationen unterstellt, dass die Aufmerksamkeit eingeschnappt wegnickt. Die Interaktion der von verschiedenen Ecken des Raumes zueinanderstrebenden Schauspieler wirkt teils ebenso gezwungen wie die mit dem Publikum: Sebastian Mirow und die Volkstheater-Akteure Justin Mühlenhardt, Pascal Riedel, Lenja Schultze und Constanze Wächter setzten sich während der fast zweistündigen Performance auf verschiedene Plätze im Raum. Dann schaut einen mal das Flüchtlingselend, mal die gequälte Verwaltungsseele an und stellt Fragen wie "Wohin würden Sie fliehen?" oder "Ist unbegrenzte Zuwanderung demokratisch?"

Die gebürtige US-Amerikanerin Karen Breece kam als Kind ins Land ihrer deutschen Mutter und wohnt heute in Dachau, wo sie im vergangenen Jahr die KZ-Prozesse rekonstruiert und von Ortsansässigen in offenbar ermüdender Gänze hat nachspielen lassen. Und auch "Welcome to Paradise" ist gut gemeint, aber zäh - ein Abend, mit dem man sich Fleißsternchen verdient, der theatralisch aber so wenig bietet, dass man ihr nahelegen möchte, die Texte um die Hälfte zu kürzen und ein Hörstück daraus zu machen.

Gerahmt wird er von O-Tönen aus dem Off, in denen Passanten ihre Meinung zu Flüchtlingen ("zu viele", "nicht begeistert", "nicht die Caritas") zum Besten geben. Ein Junge zeigt Empathie mit einem Klassenkameraden aus Afghanistan, der mehr als zwölf Monate zu Fuß auf der Flucht war. Ein Mann mit erkennbar nicht-einheimischem Akzent hat selbst ein wenig Angst vor den Flüchtlingsmassen. Und ein offenbar älterer Herr ist ganz glücklich mit der Patenschaft für eine Familie aus Slowenien und entschuldigt sich dann fast dafür, dass das ja "keine aktuellen Flüchtlinge" seien. Dem Hauptteil der Performance gibt Breece durch Lichtwechsel, Stille oder gemeinschaftliches Summen Struktur. Und die Entscheidung, die Erfahrungsberichte durch Profi-Darsteller zu anonymisieren, wird immer wieder durch "typische" Grammatikfehler und Wechsel ins Englische konterkariert, als müsse man schubweise Authentizitätsnachweise erbringen.

Spannend wird der Abend dann, wenn sich zwischen den Worten Ritzen auftun, in denen das Ungesagte aufblitzt. Hierfür aber muss man wie Pascal Riedel vom Belehrungs- ins Schauspielfach wechseln: Minutiöse Verschiebungen im Neigungswinkel des Kopfes und der Stimmhöhe genügen ihm, um eine frustrierte und zugleich idealistische junge Sachbearbeiterin zu skizzieren, die sich vor "Nazi"-Beschimpfungen mit Klischees in Sicherheit bringt ("Was diese Stämme mit den Mädchen machen!"). Da wird sofort klar, dass die Bereitschaft zur Offenheit mehr mit der eigenen Persönlichkeit zu tun hat als mit allem anderen - und es zur demokratischen Lösung des Flüchtlingsproblems nur individuelle Wege gibt.

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