Theater:Noch einmal von vorne

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Paradiesische Zustände und der Kampf ums Überleben liegen in "Handbuch für den Neustart der Welt" eng beisammen. (Foto: Arno Declair)

Ein Ratgeber wird Bühnenstück: Jessica Glause inszeniert Lewis Dartnells "Handbuch für den Neustart der Welt" als postapokalyptische Utopie

Von Petra Hallmayer

Die Welt, wie wir sie kennen, ist zerstört. Nur wenige haben die Katastrophe überlebt. Ein Horrorszenario eröffnet Lewis Dartnells "Handbuch für den Neustart der Welt", das Jessica Glause im Volkstheater als Textvorlage für einen Theaterabend nutzt. In seinem Bestseller stellt der britische Astrobiologe die Frage: Was wäre, wenn . . . ? Wie könnten jene, die verschont blieben, in einer postapokalyptischen Welt überleben? Er erklärt uns die Grundlagen des Ackerbaus, wie man Löschkalk und daraus Seife erzeugt, wie man Strom gewinnt und speichert. Dartnell macht uns die Gedankenlosigkeit bewusst, mit der wir uns täglich unzähliger technischer Hilfsmittel bedienen, von denen die meisten von uns nicht wissen, wie sie hergestellt werden und funktionieren.

Romane für die Bühne zu adaptieren, ist längst alltäglich. Wie aber dramatisiert man einen Ratgeber? Für einen lebendigen Theaterabend, so Glause, reicht es natürlich nicht, den Text in Dialoge zu übersetzen. "Bei uns gibt es Live-Musik, Dramen, Tränen, Komik, Momente von großer Emotionalität und Sinnlichkeit." Die Verwüstung der Welt wird in einem düsteren Bild beschworen, in dem Menschen mit Gasmasken umherirren. Ihre Inszenierung, betont Glause, versteht sich nicht als "Survival-Guide. Sie möchte nicht nur praktisches Wissen vermitteln, sondern vor allem dafür sensibilisieren, wie sehr wir die Verantwortung für unsere Existenz an Experten delegieren, über welchen Reichtum wir verfügen und wie achtlos und verschwenderisch wir mit unseren Ressourcen umgehen. Wir leben in einer schönen und bequemen Konsumblase." Glause hat Dartnells "Handbuch" komprimiert und viele Passagen gestrichen. "Wir gehen von einer kecken theatralen Setzung aus: Die Menschen wollen friedlich koexistieren, gemeinsam am zivilisatorischen Wiederaufbau arbeiten, eine Art grünen Reboot starten."

Die freie Regisseurin, die Kulturwissenschaft und Ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim und Théâtre et Spectacle Vivant in Aix-en-Provence studiert hat, ist bekannt für Theaterabende, die Gesellschaftskritik unterhaltsam verpacken. "Die meisten meiner Arbeiten", meint sie, "sind eine Mischung aus Pop-Elementen, Tragikomik, unterhaltenden, informativen und berührenden Momenten, in denen die Zuschauer im Idealfall spüren, dass das, was auf der Bühne geschieht, sie auch persönlich betrifft." Mit ihrer am Volkstheater entstandenen Sibylle-Berg-Inszenierung "Und jetzt: Die Welt!", einem intelligenten, wunderbar witzigen und traurigen Porträt der Generation Praktikum, gewann Glause den Publikumspreis beim Festival "Radikal jung". Dort war auch ihr auf Interviews basierendes Dokutheaterstück "Dear Moldova, can we kiss just a little bit?" zu sehen, das sich mit der Diskriminierung von Homosexuellen in Moldawien auseinandersetzte.

Die 35-Jährige, die vier Jahre Regie- und Tourassistentin bei der Berliner Gruppe Nico and the Navigators war und zwei Jahre als Regieassistentin an den Kammerspielen arbeitete, hat sich für den Spagat zwischen freier Szene und großen Häusern entschieden. In der freien Produktion "Hellelfenbein" schickte sie in diesem Jahr die Zuschauer in Taxis durch Berlin, für das Wiener Volkstheater ließ sie in "Nachtschicht" Männer und Frauen ihren Berufsalltag schildern. Ausschließlich im Staats- oder Stadttheater zu inszenieren, kann sie sich nicht vorstellen. "Ich genieße die luxuriösen Arbeitsbedingungen dort, aber für mich ist nicht jedes freie Projekt mit den Strukturen der großen Häuser vereinbar."

Ihre unhierarchische und dialogische Regieführung hat sie auch im Volkstheater beibehalten. "Ich mute den Schauspielern viel Eigenverantwortung zu. Das macht die Proben ungemein spannend, aber manchmal auch anstrengend." Alle Szenen sind das Ergebnis von langen Gesprächen und Diskussionen. Ein zentrales Thema darin war Dartnells Bejahung von Technik und Naturwissenschaft. Blauäugig grüne Naturromantik ist auch Jessica Glause fremd. Am Ende allerdings weist der Abend über die Buchvorlage hinaus. "Wir verbinden in einem wilden Hieronymus-Bosch-artigen Schlussbild Tanz und absurde Kostüme mit einer Ode an die Naturwissenschaft. Wir wollen verdeutlichen, dass für unsere Vision einer neuen Gesellschaft chaotisches Denken, Kreativität und Kunst gleichermaßen notwendig sind wie die moderne Technik und die Naturwissenschaften." Ein zeigefingerndes Lehrstück soll die Inszenierung, die sie als "eine Art Lecture-Musical" bezeichnet, auf keinen Fall werden. "Aber vielleicht gelingt es uns, die Zuschauer dazu zu verführen, über einige Fragen neu nachzudenken."

Handbuch für den Neustart der Welt, Premiere Freitag 27. November, 19.30 Uhr, Volkstheater, Brienner Straße 50

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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