Theater Mannheim:Zappas Enkel

Theater Mannheim: Rockstar mit Allmachtsanspruch: David Müller als Paul.

Rockstar mit Allmachtsanspruch: David Müller als Paul.

(Foto: Hans Jörg Michel)

In Simon Stephens' neuestem Stück "Birdland" geht es um den Aufstieg und Fall eines Mega-Popstars in einer surreal-bedrohlichen Welt.

Von Jürgen Berger

In Baltimore sei er einmal nach einem Besäufnis auf einem Billardtisch aufgewacht, erzählte Simon Stephens vor acht Jahren in einem Interview. Das war, nachdem er seinen Job als Bassist in der Postpunk-Band Country Teasers aufgegeben und sich nur noch dem Schreiben gewidmet hatte. Das Leben "on tour" sei nach einiger Zeit nicht mehr sexy gewesen, befand er damals. Heute ist er einer der großen europäischen Theaterautoren und verhandelt offensiv gesellschaftspolitische Themen. In "Motortown" beschrieb er den Furor eines britischen Soldaten nach der Rückkehr aus Afghanistan. In "Pornographie" skizzierte er kurz nach den Terroranschlägen in London, wie Menschen auf die traumatische Erfahrung eines Bombenattentats reagieren. Inzwischen ist Stephens als Theaterautor, was er als Bassist nie war: ein Rockstar. Wie das ist, wenn einer aus einfachen Verhältnissen aufsteigt und so viel Geld verdient, dass ihm alle Lebenskoordinaten verloren gehen, ist nun das Thema seines neuesten Stückes "Birdland".

Stephens' Protagonist heißt Paul und ist ein Popstar, der Koks und Frauen konsumiert wie andere Hamburger. In Moskau ist es die Gattin eines Architekten, in Paris ein vierzehnjähriges Mädchen, von dem er angeblich glaubte, sie sei achtzehn. Das wird ihm das Genick brechen. Davor allerdings zerstört der seelenlose Narzisst derart exzessiv das Leben anderer, dass nicht zu übersehen ist: Der von sich selbst berauschte Frontmann einer Rockband verkörpert auch den deregulierten Kapitalismus, der ihn groß machte. Pauls Fetisch ist Geld, Menschen sind Beiwerk. Am Ende hat er alle Freunde und das gesamte Vermögen verloren. Die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Rockstars ist nicht unbedingt neu. Stephens erzählt sie in kurzen, pointierten Dialogen.

"Birdland" vorangestellt ist ein Textausschnitt aus Patti Smiths gleichnamigem Song von 1975. Damals, so Stephens, sei die Welt des Pop noch in Ordnung gewesen, heute könne davon keine Rede mehr sein. Ein Teil der zeitgenössischen Rap-Musik zum Beispiel wirke auf ihn musikalisch großartig, ethisch betrachtet aber "widerwärtig". Zu Protokoll gegeben hat er das im Programmheft zur deutschsprachigen Erstaufführung am Mannheimer Nationaltheater, bei der man auf eine riesengroße leere Bühne mit hohen, weißen Wänden schauen kann. Florian Etti hat eine jener Spielflächen gebaut, auf der sich Schauspieler wie isolierte Menschen ohne sozialen Kontakt bewegen können. Genau so inszeniert der Mannheimer Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski dann auch und versucht erst gar nicht, aus der großen Bühne des Nationaltheaters eine Arena des Rock'n' Roll zu machen.

Kosminski geht mit dem großen Figurenarsenal von "Birdland" so um, dass der Eindruck entsteht, einsame Einzelwesen hätten sich auf einem zu großen Spielfeld verirrt. Er konterkariert die bunte Welt des Pop. Statt Glamour gibt es Videoprojektionen von Kinderzeichnungen, aus denen im Verlauf des zweistündigen Abends zunehmend Albtraumbilder werden. In dieser surreal-bedrohlichen Welt inszeniert Kosminski ganz handfestes Schauspielertheater, indem er fast das ganze Ensemble aufbietet und sich jeder einzelnen der von Stephens so zahlreich aufgebotenen Figuren widmet. Das ist eine Stärke des Abends.

Dem Zimmermädchen Jenny aus dem Moskauer Hotel zum Beispiel, das mit Paul im Privatjet über Berlin nach Paris fliegt und ihn so kommentarlos verlässt wie sie Teil seines Gepäcks wurde, spielt Katharina Hauter, als sei ein Mädchen vom Lande in der Großstadt gelandet. Dort kann sie sich interessanterweise besser behaupten als der Rockstar. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass gerade sie Paul Grenzen aufzeigt. Plötzlich kommt ihm eine selbstbewusste Frau in die Quere, was man von Marnie nicht unbedingt behaupten kann. In sie hat sich der Gitarrist der Band unsterblich verliebt, was Paul umso mehr anstachelt. Nachdem auch Marnie mit Paul in der Kiste gelandet ist, meint der Fiesling ungerührt, er müsse das jetzt sofort offenbaren. Schließlich dürfe man vor dem besten Freund keine Geheimnisse haben.

Da steht Carmen Witt als ein verstörtes Menschenwesen auf der Bühne, und es ist klar, dass das schrecklich enden wird. Auch in dieser Szene ist David Müller ein Paul, den man glatt für Zappas Enkel halten könnte. Ein hyperaktiver Borderliner turnt und tanzt da mit ausgezehrtem Körper und stechendem Blick über die Bühne, dass man nicht so recht weiß, ist das nun ein renitentes Kind oder vielleicht doch ein diabolischer Nihilist. Am Ende ertrinkt er schier in Selbstmitleid und rettet sich in Fantasien. Einer wie er, der überall war und alles erreicht hat, sei ja eigentlich unsterblich, meint er. Im Theater gehen dann aber doch ganz unvermittelt die Lichter aus.

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