Theater: Lulu - Die Nuttenrepublik:Der beste Job der Welt

Die Professionellen sind an diesem Abend nicht die Schauspieler - sondern die Prostituierten im Chor: Volker Lösch inszeniert "Lulu - Die Nuttenrepublik" an der Schaubühne in Berlin.

Peter Laudenbach

Schön, dass der weichgespülte Befindlichkeits-Sound jetzt auch im Rotlichtmilieu angekommen ist: "Ich habe den besten Job der Welt. Es ist so schön zu geben. Allein für das Geld würde ich das nicht machen". Das ist das Mantra des modernen Dienstleisters, der weiß, dass er nicht nur für seine Arbeit bezahlt wird, sondern auch dafür, dass er sich mit ihr identifiziert. In Volker Löschs "Lulu"-Inszenierung an der Berliner Schaubühne ist es einer der Selbstbewusstsein signalisierenden Merksätze, den ein Chor von Prostituierten zur Arbeitsplatzbeschreibung deklamiert: "Im Escort ist man in der Dienstleistungsgesellschaft angekommen. Ich biete Entertainment auf allen Ebenen." So nonchalant und schlüssig lässt sich die Brücke von der Prostitution zum ganz normalen Wirtschaftsleben schlagen.

'Lulu - Die Nuttenrepublik' an der Schaubühne in Berlin

Etwas konturlos: Laura Tratnik als Lulu in Volker Löschs Inszenierung "Lulu - Die Nuttenrepublik" an der Schaubühne in Berlin.

(Foto: dpa)

Der Regisseur Volker Lösch, der die Laien-Chöre aus wechselnden Randgruppen zum Markenzeichen seines wuchtiges Agitprop-Theaters gemacht hat, hat Berliner Prostituierte engagiert, um Wedekinds "Lulu" vom späten 19. ins frühe 21. Jahrhundert zu holen - Untertitel: "Die Nuttenrepublik". Weil der Chortext aus Interviews mit den fünfzehn Frauen montiert ist, erfährt man in ihren beeindruckenden Auftritten Genaueres über ihre Arbeit als in den üblichen Unterhaltungsformaten, die das Thema gerne voyeuristisch ausbeuten.

Zum Beispiel, dass Freier im Internet in "Verkehrsberichten" die Qualität der Sexarbeiterinnen bewerten: "Ich habe mich nie als Ware gefühlt", berichtet der Chor. "Aber in dem Verkehrsbericht über mich stand etwas von Hardware und Software. Die Skala geht von neun bis null. Und null heißt: Poppt wie ein Schaf." Spätestens hier stellt sich genau die Mischung aus Ekel vor den Freiern und Respekt vor den Frauen ein, die das Privatfernsehen bei seinen Rotlicht-Exkursionen zugunsten lüsternen Schauders vermeidet.

Volker Lösch wurde, nicht ganz zu Unrecht, oft der Vorwurf gemacht, dass seine klischierten Opfergruppen letztlich nur zur Illustration eines reichlich simplen, schön übersichtlich in Täter und Opfer sortierten Weltbildes dienen: Kapitalismus böse, Revolution gut. So instrumentalisiert der Regisseur seine Randgruppenchöre ideologisch und macht sie erst Recht zu Opfern. Dass das diesmal wesentlich differenzierter ist, liegt an der Würde und dem nüchternen Selbstbewusstsein, mit dem diese Frauen über ihr Leben und ihre Arbeit berichten.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was von Lulu und ihren Liebhabern übrig bleibt.

Angemessen pampig

Die Feinheit der Form, die empfindlichen Töne neben den markigen Parolen, das ist das Verdienst von Löschs Chorleiter Bernd Freytag. Die Kostüme (Cary Gayler), edle an Brust und Scham mit grob gerasterten, fast abstrakten Abbildungen der Geschlechtsorgane bedruckte Abendkleider, unterstreichen diesen selbstbewussten Auftritt der Chor-Frauen: Wir sehen jüngere und ältere Damen, keine in Strapse verpackte Ware für den Fleischmarkt.

Ebenso zeichenhaft kühl die Bühne (Carola Reuther): Eine Wand aus weißen Kopfkissen. Vor allem aber sind die Texte der Frauen, unter ihnen eine Mitgründerin der ProstituiertenSelbsthilfe-Organisation Hydra, so vielschichtig, reflektiert, ehrlich, teilweise hilflos, teilweise trotzig und über weite Strecken sehr selbstbewusst, dass sie sich klischierten Opferzuschreibungen entziehen.

Dass einiges darin arg verkürzter Old-School-Feminismus ist, etwa die lustige These, dass sich, nur etwas subtiler als auf dem Straßenstrich, auch Ehefrauen an den Mann verkaufen, muss man wohl als die angemessen pampige Antwort auf die Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft abhaken. Genauso wie das Manifest, das der Chor als Epilog zum Besten gibt: "Die guten Liebhaber sollen mit Geschenken belohnt, die schlechten Liebhaber in einer SexWork-Akademie geschult werden." Endlich mal ein lustvoller Reformvorschlag.

Von Wedekinds "Lulu", einer Männerphantasie der animalisch triebhaften, nur der eigenen Lust lebenden Frau, bleibt zwischen den Chorauftritten in der knapp zweistündigen Aufführung wenig übrig. Was vermutlich auch besser so ist, denn hätte Lösch das Stück auch nur in Ansätzen ernst genommen, wäre schnell klar geworden, dass es nur unter Zuhilfenahme brachialer Dramaturgen-Missverständnisse als Belegstück für die Probleme der Prostitution im Spätkapitalismus zu lesen ist.

So schrumpft Wedekinds Text zu ein paar kurzen Begegnungen Lulus (etwas konturlos: Laura Tratnik) mit ihren Liebhabern. Lösch macht daraus eine Parade der Peinlichkeiten, die auch nicht viel platter ist als der einschlägige Schlager der Ärzte: "Männer sind Schweine, glaube ihnen nicht, mein Kind."

Doktor Goll, der erste Liebhaber des Abends: ein feister, schmieriger Spießer (typgerecht besetzt mit Felix Römer). Lulus Nummer zwei, den Maler Schwarz, hier zum Fotografen mutiert, macht Sebastian Nakajew mit entblößter Brust, viel Gebrüll und noch mehr unfreiwilliger Komik zum Affen. Der Dritte in Lulus Liebhaber-Reiher, der Millionär Schöning, ist bei David Ruland ein Anzugträger, der sich bewegt, als hätte er einen Stock verschluckt. Das alles auf einem Ton: laut, verhetzt, grob. Ein Jahrmarkt, der jede Figur an die Karikatur verrät. Figurenzeichnung und Schauspielerführung zählen halt nicht zu Löschs Kernkompetenzen.

Die Professionellen sind an diesem Abend in jeder Hinsicht nicht die Schaubühnen-Schauspieler, sondern die fünfzehn Frauen des Chores. Ihnen kann man gespannt, wach und voller Respekt zuhören.

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