Theater:Lisa Hagmeisters Stimme

Lisa Hagmeister bei der Premiere von Tatort Wendehammer auf dem 24 Filmfest Hamburg 2016 im Cinem

Foto: imago/Future Image

Ein Theaterstück, das im Dunkel aufgeführt wird - was für eine bescheuerte Idee. Wäre da nicht diese Stimme...

Von Till Briegleb

Manche Regieeinfälle sind so beschränkt, dass die Ausführenden eigentlich nur kapitulieren können. Zum Beispiel die Idee, die Bühnenadaption von Lars von Triers Film "Dancer in the Dark" über eine erblindende Frau die längste Zeit in völliger Dunkelheit spielen zu lassen. Doch die dröge Didaktik von Regisseur Bastian Kraft, der für das Hamburger Thalia Theater dem Meisterwerk das Licht abdrehte, um das Publikum mal richtig fühlen zu lassen, wie es ist, nichts zu sehen, wurde durch einen Seiltanz auf den Stimmbändern gerettet. Lisa Hagmeister, die Björks Rolle der musicalverträumten Emigrantin Selma ohne Licht spielen musste, also ohne körperliche Präsenz, hat ein Instrument in der Kehle, das die Nacht zum Tanzen bringt. Wohlweislich tritt sie nicht in Konkurrenz zu Björks Singstimme, vermeidet den Sängerinnenwettstreit, der nur zu verlieren ist, und gibt lieber dem Sprechen Melodie und Choreografie, dem Empfinden ein Konzert der Nuancen.

Schon immer ist Hagmeisters Kehlenklang aus Zerbrechlichkeit und Trotz ihr Markenzeichen gewesen, diese widersprüchliche Ahnung von Hilfsbedürftigkeit und Eigensinn, mit der sie ihre Rollen in einer herausfordernden Deutungsspannung hielt. Aber selten war ihre Stimme so alleinverantwortlich dafür, bedrohten Träumen Kraft zu geben, wie in dieser künstlichen Nacht der verlorenen Schatten - von denen nur die ausschnitthafte Übertragung einiger Nachtsicht- kameras auf kleine Schwarzweiß-Monitore eine unbefriedigende Hilfe für die Augen lieferten. Der hingebungsvollen Liebe zur Musik und zu ihrem Sohn, der wie sie zu erblinden droht, ordnet diese verzweifelt kämpfende Fabrikarbeiterin alles andere unter. Von dieser Bedingungslosigkeit des Gefühls erzählt Hagmeisters Stimme leise und rührend, ängstlich und sehnsuchtsvoll, selbstbewusst und energisch.

Es sind die Spektralfarben aller Gefühle zwischen Hoffen und Fürchten, die feinsinnige Menschen ständig in Einklang bringen müssen, denen Hagmeisters Klangfarben hier entsprechen. Sie tanzen im Dunklen eine kristalline Kür der Worte, die auch bei geschlossenen Augen eine Welt der Empathie von innen an die Stirn wirft. Tanzen ohne Musik ergibt Sehen ohne Licht.

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