Theater:Liesls Leiden

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"Playing: Karlstadt" schickt den Zuschauer auf eine Begegnungsreise mit einer Künstlerin, die mehr war als Karl Valentins lustige Partnerin

Von Christiane Lutz

Vielleicht saß Liesl Karlstadt selbst gern im Café Mariandl in der Goethestraße, in dem dunkel verkleideten riesigen Raum und schaute hinaus, wer an den Kastanienbäumen vorbei schlenderte. Jedenfalls existierte es schon, das Café und das dazugehörige Hotel, als sich Liesl Karlstadt in München zur erfolgreichen Schauspielerin mauserte. Das ist auch einer der Gründe, warum Bernhard Mikeska und Alexandra Althoff gern im Café Mariandl sitzen und genau dort von ihrem neuen Projekt "Playing: Karlstadt" berichten wollen. Weil der Ort eben etwas vom alten München erzählt und die Straßen im Viertel für Liesl Karlstadt bedeutend waren.

Wer die Arbeiten von Mikeska und Althoff kennt, weiß, dass er es niemals mit herkömmlichen Theaterabenden zu tun hat. Was die beiden machen, sind intime Aufführungen, oft nur für je einen Zuschauer. Ausgestattet mit Kopfhörern müssen sich diese in die Hände Fremder begeben, die ihnen den Weg durch ein Haus, eine Stadt, oder, wie 2013 bei "Eurydice: Noir Désir", durch die Katakomben des Cuvilliéstheaters weisen. Unterwegs begegnen sie Schauspielern, die für jeden einzelnen ihre Szenen spielen. Manche Theatergänger empfinden das als unangenehm. "Mir fällt es auch schwer, mich anderen komplett zu überlassen", sagt Bernhard Mikeska. Wie wohlig vertraut ist doch der dunkle Zuschauerraum, in dem man ungestört vor sich hindämmern kann, das Geschehen schön weit weg. "Darum geht es uns ja auch", sagt Alexandra Althoff, die zwar als "Dramaturgin" betitelt ist, bei den Projekten mit Mikeska aber immer auch mit Regie führt. Von Schauspielern direkt angeblickt und angespielt zu werden, muss man aushalten. Die schließlich sind in einer schützenden Rolle, man selbst ist ja nur, nun ja, man selbst. Allerdings, das versichern die Künstler, müsse man kein Wort sagen und nicht mitspielen. "Der Zuschauer soll sich bei unseren Arbeiten selbst beobachten. Sich mit sich selbst beschäftigen. Er steht, wie der Schauspieler, im Rampenlicht. Das sind wir nicht gewöhnt." Wer sich überwinde, die Kontrolle aufzugeben und sich dem Spiel der Schauspieler aussetze, so die Erfahrung, könne großen Lustgewinn erleben. So geht es auch Mikeska selbst, für den seine Arbeit also immer auch ein wenig Selbsttherapie ist.

Pauline Fusban zeigt in ihrem Spiel die weibliche Seite der Künstlerin. (Foto: Konrad Fersterer)

Das Rollenspiel, auf das sich der Zuschauer einlassen muss, es passt auch zum Leben der Liesl Karlstadt. Bis heute kennen viele Karlstadt vor allem als genialen Sidekick von Karl Valentin. Es stimmt ja auch, vieles in ihrem Leben als Schauspielerin richtet sich nach ihrem Spiel- und Lebenspartner. Für ihn bleibt sie dick, für ihn gibt sie auf der Bühne ihre Weiblichkeit auf, weil er lieber mit grotesken Männerfiguren spielt. Karl Valentin, schon zu Lebzeiten ein Star, wird vom Publikum als Misanthrop gefeiert, als ewig nervöser Hypochonder. Er spielt immer auch sich selbst, alles dreht sich um ihn. Um ihn drehen musste sich Liesl Karlstadt. Sie ist die ewig Reagierende. Ihr eigenes Leiden verschwindet hinter den angeklebten Bärten und falschen Bäuchen der Kapellmeister und Doktoren, die sie spielt. Im April 1935 hält sie ihren Kummer nicht mehr aus und springt in die Isar. Sie überlebt.

Das Café Mariandl ist auch deshalb ein guter Ort für ein Gespräch über Liesl Karlstadt, weil um die Ecke die Klinik in der Nußbaumstraße liegt. Dort ist sie nach ihrem Selbstmordversuch als Patientin in Behandlung. Bipolare Störung, Depression. Das besorgt sie, hält sie aber nicht davon ab, direkt aus der Klinik zu Auftritten oder zu einem Dreh mit Karl Valentin zu fahren, bei dem sie den Nervenarzt spielt und er den Patienten. Valentin muss erst sterben, damit das Publikum in Karlstadt eine eigenständige Künstlerin entdeckt.

Am stärksten fühlte sich Liesl Karlstadt allerdings, wenn sie als Mann verkleidet auftreten konnte. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Mikeska und Althoff, die mit dem Autor Lothar Kittstein das Trio "Raum und Zeit" bilden, sind 2013 bei den Recherchen zu "Eurydice" über Karlstadts Geschichte gestolpert. "Ich hatte das Gefühl, wir haben mit der Frau noch eine Rechnung offen", sagt Althoff, deshalb kehrten sie ans Residenztheater zurück, das "Playing: Karlstadt" veranstaltet. Weil die Einzeltermine meist recht schnell ausverkauft sind, hat das Theater zusätzlich das Virtual Reality Projekt "360° Karlstadt" entwickelt, bei dem der Zuschauer mit einer speziellen Brille Teile der Inszenierung nacherleben und Details aus Liesl Karlstadts Leben erfahren kann.

Der Zuschauer, oder der Beobachter, wie Bernhard Mikeska lieber sagt, denn nur Zuschauen sei ja doch was anderes, begegnet auf seinem Spaziergang also drei Frauen, den Resi-Schauspielerinnen Bibiana Beglau, Hanna Scheibe und Pauline Fusban, die jeweils eine von vielen Karlstadts geben. Treffpunkt ist das Hotel Kraft in der Schillerstraße, das einst das Volkssängerlokal "Hotel Frankfurter Hof" war. Natürlich ist auch das kein Zufall, denn dort haben sich Liesl Karlstadt und Karl Valentin 1911 kennengelernt.

Playing: Karlstadt ; Samstag, 5. Mai, von 17.36 Uhr an, weitere Termine auf residenztheater.de

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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