Theater:Liebestöter

Radetzkymarsch | nach Joseph Roth | Burgtheater

Das Erzählkonzept ist klug gedacht und gemacht, aber buchstäblich durchschaubar bis auf die Unterhose: Szene aus „Radetzkymarsch“ in Wien.

(Foto: Burgtheater)

Der Regisseur Johan Simons inszeniert Joseph Roths Roman "Radetzkymarsch" im Herzen der alten Donaumonarchie, auf dem Wiener Burgtheater. Das Ergebnis: eine spröde Elegie auf den Untergang einer ganzen Welt.

Von Christine Dössel

Dass kein einziges Mal der Radetzkymarsch gespielt wird, obwohl er an diesem Theaterabend doch das Leitmotiv ist, ja sogar der Titelheld, erklärt schon mal den Ansatz der Regie: Bloß ja keine Schwelgereien! Weg von jeder k. u. k.-Seligkeit! Wir brechen die Erwartungshaltung! Genau darum ist der niederländische Regisseur Johan Simons - vormals Intendant an den Münchner Kammerspielen, demnächst am Schauspielhaus Bochum - ja wohl auch beauftragt worden, am Wiener Burgtheater, dem einstigen "kaiserlich-königlichen Hof-Burgtheater", Joseph Roths österreichischen Heimatroman "Radetzkymarsch" über den Glanz und Niedergang der Donaumonarchie auf die Bühne zu bringen. Ein literarisches Meisterwerk, erschienen 1932.

Der Holländer Simons ist ein großer Kenner und Liebhaber von Joseph Roths Werk, er hat an den Münchner Kammerspielen dessen Romane "Hotel Savoy" und "Hiob" inszeniert und vergisst nie, darauf hinzuweisen, dass Roth während seines Exils auch in Amsterdam war. Johan Simons und Joseph Roth, das ist die Geschichte einer Leidenschaft. Nur spürt man an diesem Abend davon wenig. Der Regisseur macht es sich und seinen Zuschauern nicht leicht. Er richtet sich nicht gemütlich ein in Roths spätmonarchistischer Welt, bedient keine rückwärtsgewandte Utopie, keine sentimentale Ironie, ja, nicht einmal Roths Sprachgenialität macht er sich saftig-sinnlich zunutze, sondern es geht hier um Entschlackung. Simons verweigert die epische und erst recht die dramatische Kalorienzufuhr, um den Roman auf seine schwermütige Grundstimmung und seine Kernaussage herunterzuhungern. Nämlich dass hier ein Epochenbruch sich vollzieht, eine Welt untergeht. Da klappert dann schon mal das Erzählskelett.

Es ist in dieser über drei Generationen hinweg erzählten Geschichte der Familie Trotta also theatralische Schonkost angesagt: viel Text, aber ohne fette Spiel- und Romankolorit-Szenen, ohne Kostüm-Zinnober und Militär-Tamtam. Weil Simons letztlich natürlich möchte, dass wir Roths Untergangssaga auf das Hier und Jetzt beziehen, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, wo zwar keine Monarchie, aber die Demokratie wegbröckelt. So wie in der österreichisch-ungarischen Vielvölkermonarchie, die mit dem Ersten Weltkrieg unterging, machen sich auch im heutigen Europa radikale Nationalismen breit. Es dämmert eine neue Zeit heran. Darauf zielt Johan Simons ab, und je länger der dreieinhalbstündige Abend sich hinzieht - und er zieht sich tatsächlich -, desto klarer, bitterer und wahrer zeichnet sich das ab. Und zwar in aller Trauer und Ratlosigkeit, denn diese Inszenierung lässt Raum für Aporien und tut nie so, als wüsste sie etwas besser. Daher hat sie auch so einen ungewohnt entschleunigten Rhythmus, den man aushalten muss.

Simons verweigert nicht nur den titelgebenden Radetzkymarsch, er spart so gut wie jede Musik aus. Nur manchmal erklingt wie ein trister Nachhall aus weiter Ferne ein Becken, und ein einziges Mal, fast schon am Ende, setzt ein trauriges Lied ein, wie von einem alten Grammophon kommend: "Ja, ich werde sterben müssen." Es ist ein berührender Moment. Simons' Erzählkonzept ist klug gedacht und gemacht, aber buchstäblich durchschaubar bis auf die Unterhose. Statt in Kostümen stecken die Figuren in altmodischer Nacht- und Unterwäsche, was die viel beschworenen Begriffe von "Ehrenkodex" und "Dienstreglement" schon rein optisch ad absurdum führt. In diesen Untersachen schaut niemand besonders würdevoll aus, auch wenn sich die Figuren hier und da Uniformteile oder einen Frack überziehen. Liebestöter allesamt. Jeder ein Anstaltspatient. Sinnlich ist dieses Strumpfsocken-Theater nicht.

Obwohl es zum sinnenfrohen Ausgleich ja das gewöhnungsbedürftige Bühnenbild von Katrin Brack gibt, bestehend aus zwei Dutzend Luftballons. Kleinen, großen, riesigen. Sie sind so knallbunt, dass man eher an Kindergeburtstag denn an Kugelhagel denkt und sie zunächst als Fremdkörper empfindet. Aber wie sie mit beharrlicher Leichtigkeit ein schier planetarisches Eigenleben entwickeln, wie sie schwerelos auf- und absteigen, zu den Zuschauern schweben und von ihnen zurückgestupst werden, entwickeln die Dinger dann doch einen Reiz. Vor allem tragen sie zu diesem leicht sedierten Schwebezustand bei, in welchen einen diese elegisch gestimmte Inszenierung versetzt. Und am Ende symbolisieren sie die Blase, die hier zerplatzt.

Es herrscht die Atmosphäre eines stark ausgebremsten, teils alptraumhaften Zirkus

Die Spielfassung stammt von Johan Simons' treuem Dramaturgen Koen Tachelet. Dass sie aus dem Holländischen erst wieder zurückübersetzt werden musste, hat der Sprache sicherlich geschadet, aber eines muss man der Adaption lassen: Sie dröselt die verzweigte Romangeschichte umstandslos auf, man kann ihr gut folgen. Das Problem ist, dass man dies nicht mit allzu großer Spannung tut. Auf der Bühne herrscht die Atmosphäre eines stark ausgebremsten, teils alptraumhaften Zirkus, dessen Artisten - neun gestandene Burgschauspieler und neun freudig-aufgeregte Schauspielschüler - auf Bierbänken an der Rückwand auf ihren Auftritt warten. Sieht ein bisschen nach Ersatzbank aus.

Im Zentrum steht der junge Leutnant Carl Joseph von Trotta, Enkel des "Helden von Solferino", der dem Kaiser dereinst das Leben gerettet hat. Von Kindesbeinen an auf die Familienehre und damit aufs Militär getrimmt, ist aus dem labilen Mann dennoch kein stolzer Soldat geworden. Im Gegenteil: Trotta-Junior ist ein melancholischer Sinnsucher, dem Philipp Hauß eine ungeheure Müdigkeit und Zerfurchtheit und ein sichtbar schlechtes Gewissen verleiht. Der zum Helden Geborene als armer Tropf, gegängelt von seinem strengen Vater, der das Haus Habsburg im Kleinen verkörpert. Nicht umsonst wird mehrmals auf des Bezirkshauptmanns große Ähnlichkeit mit dem Kaiser verwiesen. Der famose Falk Rockstroh spielt diesen Trotta-Senior mit tiefporiger, todernster Ehr- und Pflichtversessenheit, eine staubgraue Statue der Kaisertreue.

Spröde wirkt vieles an diesem Abend, dem es an Spieldynamik mangelt. Und zwar deswegen, weil Johan Simons sie bewusst ausbremst. Kraftvolle Schauspieler wie Daniel Jesch (als Kapellmeister Slama und fescher Rittmeister Tattenbach) und der schneidend scharfe Steven Scharf (als Regimentsarzt Demant und Graf Chojnicki) setzen dennoch starke Akzente. Andrea Wenzl (die mal wieder stark minichmayrt) hat in diesem Männertheater die leidige Aufgabe, sämtliche Frauen zu spielen, also sozusagen das Urbild von Frau. Sie tut das als ewig lockendes, schmollmündiges Weib und nervt zunehmend als Klischee- und Abziehbild.

Johann Adam Oest bringt als tattriger Kaiser Franz Joseph nach der Pause jene zarte Komik ins Spiel, die im ersten Teil fehlt. Schön, wie er über sein eigenes Alter erschrickt; wie ihm klar wird, dass die Zeit über ihn hinweggegangen ist. In solchen Momenten kommt Johan Simons' Inszenierung auf ihren angepeilten Schmerzpunkt. Auch dann, wenn der alte Vater Trotta zum noch viel älteren Kaiser sagt: "Ich habe Heimweh nach Ihnen."

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