Theater:Kunstkitsch im Kakao-Speicher

Theater der Welt - 'Die Gabe der Kinder'

Blutige Wassertaufe: "Die Gabe der Kinder" von Lemi Ponifasio.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Groß, größer, Großmannssucht: In Hamburg wurde das Festival Theater der Welt eröffnet - mit ärgerlichen Flops wie Lemi Ponifasios Pathos-Spektakel "Die Gabe der Kinder". Wegweisendes Welttheater sieht anders aus.

Von Till Briegleb

Der Ort hat etwas Trotziges. Trotz seiner enormen Größe und der prominenten Lage an der Elbe, kannte den Hamburger Kakao-Speicher bisher niemand. Als letztes Objekt am Ort des historischen Hafens, auf dem die Hafen-City gebaut wird, erinnert die Lagerhalle an die ursprüngliche Funktion dieses Gebiets. Eine Enklave der industriellen Schmuddelwelt mit Roststellen, Wellblechwänden und verlebtem Beton.

Eine klassische Kulturnische also, in der das 13. Festival Theater der Welt eröffnet wird, diese wandernde Institution mit der Aufgabe, es dem "Publikum und den Theaterschaffenden unseres Landes" alle drei Jahre zu ermöglichen, die "wegweisenden neuen Leistungen und Entwicklungen des Theaters der Welt kennenzulernen", wie es in der Satzung des Internationalen Theaterinstituts (ITI) heißt, das dieses Wanderfestival vergibt. In Hamburg von Ivan Nagel 1979 erfunden und nun zum dritten Mal in seiner Geburtsstadt zu Hause, geht das Festival die Wege aller Groß-Events: Es muss immer größer werden, also 2017 das "größte Festival internationaler Art, das es in Hamburg je gab", wie Thalia-Intendant und Festival-Chef Joachim Lux den 330 Veranstaltungen umfassenden Programmkatalog bei seiner Begrüßungsrede im Kakao-Speicher nennt.

Aber Größe hat eben auch ihre Tücken. Zum Beispiel, wenn man eine 9 000 Quadratmeter große Halle mit künstlerischem Leben füllen will, und dann kriegt man seine "Weltpremiere" nicht hin. Der große Eröffnungsknaller sollte ein Musikwerk von R. Murray Schafer für zwölf Chöre und 48 Streicher werden mit dem Titel "Apocalypsis", inszeniert von Lemi Ponifasio. Was der Regisseur aus Samoa nach dem Scheitern dieser Großanstrengung unter dem Titel "Die Gabe der Kinder" als Ersatz choreografierte, verdient diesen Titel trotzdem.

Lemi Ponifasio nähert sich der Ästhetik von Leni Riefenstahl

Während das Publikum auf brutal enge Plastikschalen gequetscht wird, verlaufen sich in der gigantischen Nutzarchitektur zunächst ein paar ameisengroße Frauen in Trauerkleidung, die im Schneckentempo auf die Zuschauer zugehen und klagende Melodien singen. Ihnen folgen schwarz gekleidete Kinder im Zombie-Tempo. Dann fuchtelt zu Überwältigungschören aus den Lautsprechern eine brüllende Frau mit einer Stange herum, und eine weiß Bekleidete beschmiert sich mit Kunstblut.

Daraufhin legen sich die Kinder auf den kalten Boden, dass man Angst hat, sie holen sich eine Blasenentzündung, und vergießen anschließend aus großen Plastikflaschen Hektoliter Wasser, "die Gabe der Kinder". Während diese sich dann zum Spalier aufstellen und in der Ferne ein Lichterdom zu strahlen beginnt, betritt eine Prozession Erwachsener die Halle für eine Pfützentaufe, bei der sie bedeutungsvoll die Hände in die Nassstellen tunken. Je näher die schmetternde Musik ihrem Tutti-Finale kommt, desto näher kommt Lemi der Leni: Der Ritus-Schmalz sieht im Schlussbild aus wie Riefenstahl für den Kinderkanal, ein Reichsparteitag für Eso-Quark.

Vielleicht sind die NS-Propagandabilder von Massenaufmärschen bei Flakbeleuchtung noch nicht bis ins idyllische Samoa gedrungen, wo man ja mehr mit dem steigenden Meeresspiegel zu tun hat. Aber wie man diesen dröhnenden Pathoskitsch für eine "wegweisende Leistung des Welttheaters" halten kann, bleibt das Geheimnis der vier Kuratoren von Kampnagel und Thalia Theater, die das Festival ausrichten.

Leider geht es in dieser apokalyptischen Manier weiter mit den "Deutschland-", "Europa-" und "Weltpremieren", die hier Schlag auf Schlag zu sehen sind. Das infantile Schrei- und Wälzhappening mit religiösen Symbolen zu billigem Sequenzer-Pop, "Ishvara", das zur Eröffnung auf Kampnagel vom chinesischen Regisseur Tianzhuo Chen nach der Weltpremiere bei den Wiener Festwochen wiederholt wird, ist der nächste Mega-Flop. Seine opulente Darbietung infantiler Ansichten über Blasphemie und sexuelle Befreiung leert den großen Saal der Kulturfabrik jedesmal zügig.

Und auch die nächste chinesische "Weltpremiere", das Stück "500 Meters" des Paper Tiger Theater Studios, zeigt mit eher reduzierten Mitteln, wie unfassbar lang zwei Stunden sein können, wenn man unzusammenhängenden Improvisationsnummern zusehen muss. Ein paar Fragmente von Franz Kafkas Text "Beim Bau der chinesischen Mauer", um den es hier gehen soll, tauchen tatsächlich auf, aber drumherum machen die zehn Darsteller vor allem irgendwelche gestischen Dinge, die man nicht im Entferntesten mit Mauerbau und Kaisertum in Verbindung bringen kann.

Das Thalia, das entgegen der Programmidee dieses Festivals diverse Hausproduktionen als seine eigenen wegweisenden Leistungen des Welttheaters in die Veranstaltungsschwemme setzt, die noch bis zum 11. Juni dauert, hat mit Kornél Mundruczó immerhin einen Weltregisseur für Gerhart Hauptmanns "Die Weber" zu bieten. Doch auch der ungarische Film- und Theatermacher lässt den Text des Aufstandsdramas von 1892 größtenteils fort und komponiert lieber aufwendige Tableaus.

Ein detailliert eingerichteter asiatischer Sweatshop wird von deutschen Schauspielern unter infernalischem Lärm, aber gekonnt mit Jeans-Nähen bespielt (was gerade exakt so, nur original, bei der Documenta in Athen zu sehen war). Darüber thront ein edler Concept-Store. Zwischen diesen Welten wird sehr plakativ, mit vielen Kindern und getrommelten Märschen, Klassenkampf in seinen emotionalen Hauptstadien rekonstruiert. Verzweiflung gegen Hochmut, Hunger gegen Dekadenz, revolutionäre Euphorie gegen kapitalistisches Schissertum - bis die tollen Räume von Mundruczós Szenografen Marton Ágh krachend zusammenstürzen. Effektdichte sehr hoch, Botschaft sehr schlicht.

Es bleibt einer kleinen "Weltpremiere" vorenthalten, das totale Debakel dieser effekthascherischen Festivaleröffnung ins Versöhnliche zu mildern. Der ägyptische Künstler Wael Shawky, der mit seinen großartigen Marionettendramen über die Kreuzzüge die Kunstfestivals der Welt bereist, hat eine arabische Version des Roland-Liedes inszeniert, das von Fidjeri-Musikern aus den Golfstaaten gesungen und geklatscht wird. Sie ehren die Niederlage der Sarazenen gegen Karl den Großen in Spanien in einer freudestrahlenden Zeremonie, als sei es der größte Sieg des Islam. In dieser klangvollen Vermischung der Perspektiven entsteht genau die subtile Verstörung und Nachdenklichkeit, die man von "wegweisendem" Welttheater erwartet. Bezeichnend, dass diese anregende Botschaft in diesem nach Größe und Krach strebenden Festival so klein auftritt. Produktiver Trotz ist wohl besser in der Nische zu Hause.

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