Theater:Kultpotenzial

Kalter Krieg im Ehebett, Wettrüsten bis zur Scheidung: Joël Pommerats Stück "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" ist ein abgründiger Liebes-Reigen. Oliver Reese hat es mit Verve bei den Ruhrfestspielen inszeniert.

Von Cornelia Fiedler

Kalter Krieg im Ehebett, Wettrüsten bis zur Scheidung - wenn ein Stück über die Liebe "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" heißt, klingt das nach Boulevard. Bei Joël Pommerat ist der Titel nur die erste von vielen Assoziationsfallen in einem Reigen für 27 Frauen und 24 Männer. Oliver Reese, Intendant am Schauspiel Frankfurt und designierter Nachfolger von Claus Peymann am Berliner Ensemble, holt die abgründige 20-Episoden-Tragikomödie aus Frankreich nach Deutschland und offenbart mit seiner rasanten, unberechenbaren Inszenierung deren Kultpotenzial. Premiere war bei den Ruhrfestspielen.

Es beginnt mit einem freundlichen Schlag in die Magengrube: Aufrecht, die Handtasche fest umklammert steht Corinna Kirchhoff allein in einem dunklen Gang voller verschlossener Türen, seitlich leuchten grün zwei Notausgänge (Bühne: Hansjörg Hartung). Warum sie die Scheidung wolle, fragt eine Frauenstimme. "Es gibt keine Liebe zwischen uns, hat es nie gegeben." Sicherlich werde sie einsam sein, nun da die Kinder aus dem Haus sind, "aber mir ist diese Einsamkeit lieber als das Fehlen von Liebe." Punkt. Das wäre geklärt. Weiter geht es Schlag auf Schlag: Eine Frau versucht ihrer Freundin das Herz herauszureißen, statt sich von ihr zu trennen; ein High-Society-Paar tut so, als hätte es Kinder, um die Leere seiner Ehe zu überspielen; eine Putzkraft kotzt sich über ihren Verlobten aus, ohne zu merken, dass dieser über ihrem Kopf baumelt - erhängt.

Pommerat, neben Yasmina Reza der wichtigste französische Gegenwartsdramatiker, spielt die ganze Bandbreite von absurdem Slapstick bis zum Arthaus-Melodram durch. Reese inszeniert locker, schnell getaktet, psychologisch genau. Das schönste, stabilste Bekenntnis zur Liebe überlässt er einer jungen, geistig behinderten Schwangeren (Carina Zichner), die die Bedenken ihres Arztes unbeirrt beiseite wischt. Das Unwägbare ist an diesem Abend Programm. Ein Schlüsselsatz lautet: "Liebe reicht nicht." Das ist die einzige Erklärung, die die "Frau" ihrem überrumpelten "Mann" gibt, als sie ihn mitten in der Nacht verlässt.

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