Theater:Klohäusel-Totentanz

Theater: Kriegsheimkehrer Beckmann, in Wasserburg gespielt von Frank Piotraschke, einem Mordskerl von der Waterkant.

Kriegsheimkehrer Beckmann, in Wasserburg gespielt von Frank Piotraschke, einem Mordskerl von der Waterkant.

(Foto: Christian Flamm)

Wolfgang Borcherts Burleske "Käse" in Wasserburg uraufgeführt

Von Egbert Tholl, Wasserburg

Vor einem Jahr haben sie hier etwas entdeckt und der Welt gezeigt. "Käse" hieß die Entdeckung und war alles andere als das. Es war ein Stück von Wolfgang Borchert. Von ihm kennt man "Draußen vor der Tür", uraufgeführt am 21. November 1947, einen Tag nach dem Tod seines Schöpfers, zur Allerheiligen-, Allerseelen-, Allertotenzeit. Das Drama des Kriegsheimkehrers Beckmann, des Mannes mit der scheußlichen Gasmaskenbrille, den keiner haben will, nicht einmal die Elbe, auf den keiner mehr wartet.

Und da zeigte dann das Belaqua-Theater in Wasserburg am Inn - auch ein Fluss zum Reinspringen, wenn auch mit weniger suizidaler Verheißung als Borcherts Elbe - "Käse", ein ganz anderes Stück, kein Schrei im grauen Nebel, eher eine dandyeske Spinnerei. Geschrieben hat die Borchert zusammen mit seinem Freund Günter Mackenthun, als die beiden gerade volljährig waren, also kurz vor dem Krieg. Hinterher kann man diese Science-Fiction-Satire in Teilen durchaus als visionär begreifen: Der Käse-Meier, ein Käsehändler mit Ambitionen, erklärt den Brocken im Harz zum höchsten Berg der Welt, da aus Harzer Käse bestehend, erobert den Mars und will von dort aus die Erde vernichten, indem er sie mit Käsegas beschießt. Er ist umgeben von drei Damen im Stile der Zeit - Gattin, Tochter, Nackttänzerin -, von einem irren Dichter und Arbeitsrobotern.

Heute liest sich das durchaus mit einem Grinsen der Verzweiflung; ob die Jungs wirklich die Nazis im Sinn hatten odereinfach nur eine geistige Freiheit herbeischrieben, wer mag und muss das heute noch trennen. Legenden zum Stück gibt es auch: Mackenthun hat das Manuskript angeblich in seinem Schuh versteckt. Ausgegraben hat es dann für Wasserburg Nik Mayr, per Zufall, als er eigentlich vorhatte, "Draußen vor der Tür" zu machen. So gab es dann erst einmal die Uraufführung, und nun, nachgereicht nach einem Jahr, das Kriegsheimkehrerstück.

Vorher - nachher, Verheißung und Vernichtung. Mayr inszenierte "Käse" als eine Art durchgeknalltes Techno-Musical; nun kommt man in den Club gar nicht mehr rein, man ist auf dem Klo. Draußen vor der Club-Tür, am Arsch der Welt, in der Scheiße - sorry liebe Sprachwächter, aber es ist nun mal so. Von Ferne wummert noch was, vielleicht ist in einem unsichtbaren Inneren gerade eine "Käse"-Party im Gang. Sichtbar sind nur drei Klokabinen, unten schaun die Beine raus, oben der Kopf, falls der Mensch in der Kabine steht. Die Kabinen sind voller Sprüche, wie man sie halt findet an solchen Orten, jedes Häusl hat eine pinkfarbene Neonröhre, das war's.

In der Mitte Beckmann, Frank Piotraschke, ein Mordskerl von der Waterkant. Links Ann-Sophie Ludwig als überkandidelte Kokotte, ein beeindruckender Anblick, aber manchmal ein bisschen fahrig. Macht nichts, denn entscheidend, entscheidender, vielleicht sogar als Beckmann selbst, ist der Tod. Der Tod wohnt im rechten Häusl und ist Hilmar Henjes. Es ist ein Tod wie im neuen James Bond-Film als Kumpel, als nächster Freund - in Mexiko feiern sie den Tag der Toten, an welchem Daniel Craig vieles kaputt macht, während um ihn herum in Mexico City ein überbordender Karneval des Gedenkens an die Verstorbenen tobt. Henjes, ein punkiger Knochenmann mit Zylinder, ein burlesker Animateur aus der Unterwelt, tobt bei Nik Mayr auch. Durch Borcherts Sprache nämlich. Mayr verdichtet Borcherts Expression noch einmal, verschraubt die Szenen und Begegnungen, in der Originalgestalt des Stücks oft in sich schon surreal genug, zu einem Sprachtrip, in dem das Konkrete immer wieder aufscheint und gleich wieder verschwindet, ganz im Sinne des Autors.

Borchert sagte einmal, dass man 1945 keine Dichter mit guter Grammatik bräuchte, zu guter Grammatik fehle die Geduld. Nun, die Aufführung in Wasserburg hat eine gute Grammatik, die einer irrlichternden Ausweglosigkeit.

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