Theater in Essen:Ein gekränkter Narziss

Theater in Essen: Stefan Diekmann ist der Böse, der Jago des Abends.

Stefan Diekmann ist der Böse, der Jago des Abends.

(Foto: Birgit Hupfeld)

Volker Lösch führt "Das Prinzip Jago" vor, frei nach Shakespeare. Der böse Jago missbraucht seine mediale Macht. Am Ende gibt's "Mohrenköpfe".

Von Martin Krumbholz

Othello ist Chefredakteur bei einem lokalen Fernsehsender namens "1 West". Desdemona ist nicht seine Frau, wird aber seine Geliebte: eine aufstrebende junge Moderatorin. Und Jago, die interessanteste, weil böseste Figur der Tragödie, ja des ganzen Shakespeare-Kosmos? Jago, der hier Nick Walter heißt, wäre gern "Chef vom Dienst", muss aber erleiden, dass ihm eine Frau vor die Nase gesetzt wird. Und so beginnt ein Rachefeldzug ohnegleichen (wenn man von Shakespeare selbst absieht): Nick Walter nimmt quasi eine ganze Stadt - Essen - in Geiselhaft, pusht die AfD, lässt Asylantenheime brennen und ein Kind entführen.

Volker Lösch ist der Troublemaker unter den deutschen Theaterregisseuren. Einst selbst Schauspieler am Stadttheater, wurde er bald des Betriebs überdrüssig und gründete eine Ich-AG unter dem Label "Das Prinzip Lösch". Die Lösch-Methode, inzwischen systematisch zur Perfektion getrieben, funktioniert so: Man nehme einen Klassiker neueren oder älteren Datums, sei's "Der Besuch der alten Dame", "Nathan der Weise" oder nun "Othello", suche darin nach dem flagranten Moment und gleiche dieses mit virulenten gesellschaftlichen Konflikten ab. Vom Klassiker muss nicht viel übrig bleiben, vom Konflikt schon. Und, das ist wichtig: Löschs Herz schlägt links.

Es geht um Negation, um Hass aus Prinzip. Auch die AfD ist mit im Spiel

Auch die Ich-AG ist passé, am "Prinzip Jago" haben immerhin drei Autoren geschrieben (neben Lösch Oliver Schmaering und Ulf Schmidt). Es heißt, das ganze Leitungsteam habe sich in einen "Writers Room" nach dem Vorbild amerikanischer TV-Serien zurückgezogen. Der entstandene Text ist in der Tat hochgradig elaboriert, dramaturgisch ausgetüftelt, spannend und, das ohnehin, politisch korrekt. (Man zögert, diesen Begriff zu benutzen, weil er inzwischen von der Rechten zur Denunziation liberaler Gesinnungen okkupiert wurde.) Die Vorlage für einen energetischen, atemlosen, nie ins Stottern geratenden Theaterabend ist stimmig. Man darf darin nur nicht nach Widerhaken, nach Ambivalenzen suchen. Die uns bekannte Welt, also die Medienwelt mitsamt ihren Kommerzsendern und Twitter-Eruptionen, sieht sich säuberlich aufgeteilt in Gut und Böse. Die Bühne (Carola Reuther) ist eine überdimensionale Nachrichten-Theke à la "Tagesthemen" oder "Heute-Journal".

Jago/Nick Walter ist zweifellos böse. Ein gekränkter Narziss. Es geht ihm gar nicht darum, eine politische Strömung zu befeuern, diese ist ihm egal; es geht um Negation, um Hass aus Prinzip. In einer staunenswerten Tour de Force mischt der Schauspieler Stefan Diekmann den Laden, also das Essener Grillo-Theater auf. Eine bedeutende Rolle spielt das Saallicht. Es geht immer wieder an, um Diekmann Gelegenheit zu geben, das Publikum zu agitieren. "Ich brauche ein Paar", brüllt er in sein Mikroport, "gibt's hier kein Paar? Ich suche jetzt so lang, bis ich ein Paar gefunden habe!" Entertainment pur. Der Zuschauer verkröche sich manchmal am liebsten unter seinen Stuhl. "Jetzt kommt er schon wieder herunter", äfft Diekmann die Reflexe des Publikums höhnisch nach.

Der zweite zentrale Faktor ist natürlich das Video. Es zeigt immer wieder politische Ikonen - Reagan, Thatcher, Schröder; ihre neoliberalen Maßnahmen waren fein dosiert, verkündet Jago (der nicht nur der Bösewicht ist, sondern der Advocatus diaboli des Abends), sonst hätte es unweigerlich zu einer Revolution kommen müssen. Die Medien können alles. Was sollen wir glauben? Wenn Hitler ein Weltverbesserer war und Stauffenberg ein Terrorist? Bevor man über derlei Unsinn nachdenken könnte, hat der fabelhafte Entertainer auf der Bühne schon die nächste Kurve genommen. Oder die nächste Intrige eingefädelt.

Wie verläuft inzwischen der Gang der Handlung? Am Essener Kennedy-Platz haben sich Flüchtlinge versammelt, gleichzeitig kommt es zu einer rechten Gegen-Demo. Der Sender ist vor Ort, aber überfordert. Desdemona, die Reporterin, beeindruckend gespielt von Jaela Carlina Probst, gibt ihr Bestes, fällt aber Nick Walters Manipulationen zum Opfer. Der liberale Bürgermeister und eine AfD-Frau werden live interviewt, beides läuft aus dem Ruder. "Haben Sie gehört, dass ich Mohren sage?", blafft die AfD-Frau frech in die Kamera ("Der Mohr von Venedig" heißt Shakespeares Stück im Untertitel.) Dass am Schluss - der Sender ist nun fest in der Hand der Rechten - auch noch "Mohrenköpfe" gemampft werden, wäre nicht nötig gewesen - man hat schon verstanden.

Eine gewisse Tendenz zur Überdeutlichkeit darf man dem Theaterabend getrost attestieren. Einen hohen Unterhaltungswert auch. Um dieses Zwecks (und der guten Sache) willen bedient Lösch sich freilich ähnlicher Mittel (Reizüberflutung) wie jener, die er anprangert. Love it or hate it.

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