Theater im Westjordanland:Freiheit beginnt im Kopf

Theater im Westjordanland: Verbunden mit einer Institution des Friedens: Palästinenser vor dem Freedom Theatre.

Verbunden mit einer Institution des Friedens: Palästinenser vor dem Freedom Theatre.

(Foto: AFP)

Die Schauspieler des Freedom-Theaters im Westjordanland lehnen sich gegen die israelische Besatzung auf. Einer von ihnen ist Faisal Abu-Alheja, der eine neue Generation von Schauspielern ausbildet. Er wäre bereit, für das Theater zu sterben.

Von Milena Fee Hassenkamp

Wenn Faisal Abu-Alheja sich auf den Weg zu seiner Arbeit macht, dann durchquert er dafür die staubigen Straßen des Flüchtlingscamps Dschenin im Norden des Westjordanlandes. Vorbei an den bröckelnden Wandbemalungen der einfach gebauten Häuser, die mahnen, nicht zu vergessen, was hier vor wenigen Jahren geschah.

Im Jahr 2002 war Dschenin Schauplatz einer umfassenden Militäraktion Israels, bei der große Teile des Flüchtlingslagers zerstört und 59 Menschen getötet wurden. Am Eingang des Lagers erinnert ein von Kindern gebautes Denkmal an das Grauen von damals. Im Zentrum des Lagers arbeitet Faisal daran, dass dieses Grauen vergessen wird. Hier steht das Freedom Theatre. Außen verrät nur ein kleines Schild über der Tür, was hinter den Lehmmauern passiert. Es ist ein Ort, der für alle Beteiligten weit mehr ist als ein kleines Theater.

Eine Sache, für die man sterben würde

"Wenn du nichts hast, für das du sterben würdest, hast du nichts, wofür du leben willst." Das hat Martin Luther King einmal gesagt. Nun sagt es Faisal. Das Theater ist für viele hier eine Sache geworden, für die sie leben. Und für die sie sterben würden.

Faisal war einer der ersten Schüler an der Schauspielschule des Theaters. Nun unterrichtet er hier junge und talentierte Palästinenser, die wenig Hoffnung haben, aber von Freiheit träumen. Faisal arbeitet daran, dass sie wieder die Chance haben, über die Grenzen der Besatzung hinauszublicken. Denn die Besatzung, sagt Faisal, die beginnt in den Köpfen und den Träumen der Menschen, die nicht mehr sehen können, als die Gitter, von denen sie umgeben sind.

Es ist inzwischen ruhiger geworden an dem Ort, der einst eines der Zentren der Zweiten Intifada war. Es ist eng im Lager. Etwa 17 000 Menschen leben hier auf knapp einem Quadratkilometer, vier mal so viele wie in München. Dschenin ist von seiner Vergangenheit geprägt, aber es blickt auch in die Zukunft.

Das Freedom Theatre ist nur eines der Projekte, die versuchen, der jungen Generation eine Bühne zu bieten für die gewaltfreie künstlerische Aufarbeitung von Hass und Trauer und somit Hoffnung säen in den Köpfen der Bewohner. "Widerstand durch Kunst" ist das Motto des Projekts. Einer der Menschen, die das möglich machen, ist Faisal. Wenn er über die Situation des Theaters spricht, dann klingt seine Stimme klar und entschlossen. Man merkt, dass das Reden über die eigene Arbeit ihn mit Stolz erfüllt. Für viele ist sie zum Ventil für die traumatischen Erfahrungen der Besatzung geworden. Faisal erinnert sich noch gut an die Geburtsstunde der ersten palästinensischen Schauspielschule.

Eine Heldenfigur

1987 hatte die jüdische Aktivistin Arna Mer das Projekt Freedom Theatre ins Leben gerufen, um das Gefühl der Gemeinschaft zu stärken. Nach ihrem Tod war das Theater 2002 von der israelischen Armee zerstört worden. Ihr Sohn Juliano Mer Khamis baute es wieder auf und rief als neuer Leiter 2008 die Schauspielschule ins Leben. Einer ihrer ersten Schüler war Faisal. Er weiß noch, wie schwer es anfangs war, die Menschen zum Mitmachen zu bewegen. Sie verstanden nicht, was Schauspielerei in einem Flüchtlingscamp zu suchen hatte. Sie hatten Angst. Auch Faisal hatte Zweifel. Ein Theater, das zudem von einer israelischen Frau gegründet worden war - das war eine Zumutung.

Es war dann vor allem Juliano Mer Khamis, der half, diese Vorurteile abzubauen. Er war der Kopf des Projekts. Und wurde zum Helden. Man kann heute nicht mit Schauspielern des Freedom Theatres sprechen, ohne dass sein Name ehrfürchtig erwähnt wird. "Juliano" ist für viele Menschen in Dschenin ein Synonym für den Kampf um die eigene Freiheit. "Juliano lehrte uns, weiterzumachen", sagt Faisal. Aber Juliano ist nicht mehr da.

Die Kunst, weiterzumachen

Am 4. April 2011 töten Unbekannte Juliano auf offener Straße. Bis heute ist die Tat nicht aufgeklärt, weder die israelische, noch die palästinensische Seite äußern sich zu den Ermittlungen. "Ich habe es immer noch nicht begriffen", sagt Faisal.

Der Ermordung des Theaterleiters folgten Angriffe auf die Spielstätte, immer wieder wurden Fenster eingeschlagen. Die Schauspieler fürchteten um ihr Leben. Weil unklar war, von welcher Seite der Anschlag herrührte, befürchteten die Theatermacher Angriffe aus beiden Lagern. Das ganze Projekt stand vor dem Aus.

In dieser Zeit wuchs der Druck der Familien auf die Schauspieler, mit der Arbeit aufzuhören, erinnert sich Faisal. Aber die Theatermacher waren sich einig: Wir machen weiter. Der Anschlag, sagt Faisal, bedeutete auch, dass das Theater polarisierte, dass man mit dieser Arbeit das Richtige tue. Die Arbeit im Camp ging weiter und das fast noch engagierter als zuvor. Mit Nabil Al-Raee und Micaela Miranda übernahmen zwei Kollegen die Theaterleitung, die schon lange an der Seite von Mer Khamis gearbeitet hatten.

Ein Stück Normalität

Die Arbeit besteht in Dschenin zum einen aus der Schauspielausbildung, aber auch aus Kamera-, Regie- und Drehbuchworkshops. Auf diese Weise leuchten vor Ort immer wieder junge Menschen zerstörte Häuser für Filmprojekte aus. Manchmal drehen sie auch Werbespots für ortsansässige Händler.

Ein großer Teil der Jugend des Ortes nimmt an diesen Projekten teil. Neben dem Freedom Theatre sind dafür auch das Cinema Jenin und seine Mitarbeiter verantwortlich. Das Kino wurde vom deutschen Dokumentarfilmer Markus Vetter und ortsansässigen Helfern nach der Zerstörung der Zweiten Intifada wiederaufgebaut. Auch das "Cinema", wie es im Ort alle nennen, bringt ein Stück Normalität zurück. Hier laufen Filme, für die man nicht mehr umständlich ins einige Stunden entfernte Ramallah fahren muss.

Außer den Workshops und Inszenierungen am Theater entwickelte sich auch die Initiative Freedom Bus, bei der Schauspieler des Theaters gemeinsam mit anderen Palästinensern, Israelis und Menschen aus aller Welt in die besetzten Gebiete fahren und Geschichten erzählen.

Die Geschichten werden von den Schauspielern auf die Bühne gebracht. Playbacktheater heißt das und macht durch das Teilen aus individueller eine kollektive Erfahrung. Der Linguist und Aktivist Noam Chomsky und die Philologin und Feministin Judith Butler waren unter den prominenten Unterstützern der Kampagne und gehörten bereits zu den Passagieren des Freedom Bus, der sich bei seiner Arbeit auf die palästinensischen Gebiete konzentriert, in denen der Nahostkonflikt die Menschen am härtesten trifft.

Freiheit auf Zeit

Die Arbeit des Theaters ist nicht auf die palästinensischen Gebiete begrenzt, sie geht auch über diese hinaus. Immer wieder nimmt das Freedom Theatre an Projekten teil, die es in die ganze Welt reisen lässt. Diese vorübergehenden Ausreisen sind für die Einwohner des Westjordanlandes alles andere als die Regel. Allein eine Fahrt ins naheliegende Ramallah kann von Dschenin aus für Palästinenser bis zu vier Stunden dauern, weil sie immer wieder mobile und stationäre Checkpoints passieren müssen.

Für die Schauspieler des Freedom Theatres wird die Ausreise durch die Einladung eines anderen Theaters erleichtert. Faisal beschreibt den Versuch an ein Visum zu kommen trotzdem als kompliziert und erniedrigend: "Man muss von einem Checkpoint zum nächsten fahren und die israelischen Behörden treiben oft fiese Spiele mit einem", sagt er lachend. Die Schikane ihrer Besatzer ist für viele Palästinenser ein unangenehmer Scherz. "Denen fallen immer neue Sachen ein." Flüge starten nur von Tel Aviv oder Amman, in Jordanien. Nicht allen Palästinensern ist es aufgrund ihres Passes überhaupt möglich, über Israel auszureisen.

Faisal weiß, dass er einer der wenigen Glücklichen ist, die die Chance haben, einen Blick über die Grenzen zu werfen. Das Freedom Theatre hält mittlerweile immer wieder Gastspiele in aller Welt ab, unter anderem an der Schaubühne in Berlin oder am New York Theatre. Dafür dürfen einige Schauspieler das Land verlassen. Es ist eine Freiheit auf Zeit. Und für Faisal nicht das Wichtigste. Denn er will vor allem in Dschenin etwas verändern.

Wie viele am Freedom Theatre, setzt sich Faisal mit seiner persönlichen Situation intensiv auseinander. Man merkt ihm an, wie oft ihm die immer gleichen Fragen schon gestellt worden sind - seine Antworten kommen meist wie aus der Pistole geschossen und er weiß genau, was das Ausland an ihm am meisten interessiert.

Er macht sich keine Illusionen und hat doch seine Hoffnung noch nicht verloren: "Die traurige Seite ist, dass wir nicht rauskönnen." Hier macht er eine Pause. "Aber auf der anderen Seite ist es schön, zu sehen, dass wir durch unsere Kunst etwas bewegen können und die Menschen zusammenbringen."

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