Theater:Hai-Noon am Kurfürstendamm

Maria Furtwängler hält in ihrer ersten Theaterhauptrolle, was der Stücktitel verspricht: "Alles muss glänzen".

Von Peter Laudenbach

Die arme Flunder. Immer wieder bietet die verzweifelte Hausfrau Rebecca sie ihren Gästen an. Aber weder die Nachbarin noch ein Einbrecher haben Appetit. Die Nachbarin (Anna Stieblich) zieht es vor, erst ihren Mann und dann sich selbst zu ermorden, letzteres in Rebeccas Badezimmer. Der Einbrecher will Rebecca vergewaltigen, entpuppt sich dann aber als schrulliger Lateinlehrer mit Hang zu intimen Geständnissen: "Ich bin so einsam." Ludger Pistor spielt ihn mit trockener Komik. Auf den Ehemann muss Rebecca erst gar nicht hoffen, er ist schon vor Jahren verschwunden, um andernorts sein Glück zu suchen.

Und das sind noch die kleineren Probleme, wenn draußen vor dem Küchenfenster Haifische vorbeischwimmen. Ein Zeuge Jehovas (Jerry Hoffmann) verzichtet zwar ebenfalls auf die angebotene Flunder, kann aber glaubwürdig versichern, dass die Sache mit der Sintflut gerade in vollem Gange sei. Wir sind in dem für seinen eher rustikalen Humor berühmten Berliner Theater am Kurfürstendamm, gespielt wird "Alles muss glänzen", eine 2015 erstaunlicherweise zum besten ausländischen Stück auf deutschen Bühnen gewählte Weltuntergangskomödie des US-Dramatikers Noah Haidle.

Maria Furtwängler als RebeccaFoto copyrightfrei für produktionsbezogene Berichterstattung bei Nennung der Fotografin Katarina Ivanisevic© Katarina Ivanisevic

Um mich herum die Sintflut: Maria Furtwängler als eisern lächelnde Hausfrau Rebecca. Foto: Katarina Ivanisevic.

(Foto: Katarina Ivanisevic)

Rebecca, die eisern lächelnde, dauertrippelnde, manisch putzende Hausfrau wird von keiner geringeren als Maria Furtwängler gegeben. Es ist die erste Theaterhauptrolle des Fernsehstars und ihr zweiter Theaterauftritt überhaupt, also ein großes Abenteuer. Logisch, dass das für erhöhtes Prominenten-Aufkommen am Premierenabend sorgte, Showtime am roten Teppich. Vom Furtwängler-Gatten Hubert Burda über Ursula von der Leyen, Friede Springer bis hinunter zum Fernsehproletariat ist man entschlossen, sich einen lustigen Abend zu machen. Wobei die Frage, ob im Publikum dank der Theaterschauspielkünste Maria Furtwänglers gelacht wird, oder ob bösartige Menschen nicht vielleicht doch eher über selbige lachen, nicht immer trennscharf zu beantworten ist.

Komischer kann auch René Pollesch normative Rollenmuster nicht dekonstruieren

Und, kann sie es oder kann sie es nicht? Nun, sagen wir so: Sie hält sich tapfer. Und das passt ja zweifelsohne bestens zu ihrer Rolle, der tapferen Küchenzeilen-Heroine Rebecca, die sich auch von der durchs Küchenfenster hereinschwappenden Sintflut nicht von ihren Haushaltspflichten abhalten lässt. Um größere Emotionen auszudrücken, verlässt sich Furtwängler auf das bewährte Gestenrepertoire von Opernsängern, die zwecks Steigerung der dramatischen Spannung gerne weit ausholend mit den Armen fuchteln. Sehr komisch wird das, wenn die durch nichts zu erschütternde Rebecca an die Rampe tritt und im Tremolo der Überzeugungstäterin ein Bekenntnis zu einem Frauenbild ablegt, das, um es höflich zu sagen, nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist: "Hier ist unsere Liebe, in den Muffins, im Orangensaft, als einzige Konstante in einer zerfallenden Welt."

Alles muss glänzen

Rebecca, die eisern lächelnde, dauertrippelnde, manisch putzende Hausfrau ist Furtwänglers erste große Theaterhauptrolle und ihr zweiter Theaterauftritt überhaupt, es ist also ein großes Abenteuer.

(Foto: Katarina Ivanisevic)

Das ist, gewollt oder ungewollt, Camp vom feinsten. Komischer kann auch René Pollesch heteronormative Rollenmuster nicht dekonstruieren. Regisseur Ilan Ronen, der langjährige Intendant des israelischen Nationaltheaters Habima, ist ein routinierter Profi, und mit professioneller Routine hat er seine Inszenierung denn auch abgewickelt. Dass es sich um eine hochtourige Groteske handelt, merkt man dank des gemächlichen Erzähltempos leider erst in der zweiten Hälfte, aber die Pointen sitzen ordentlich, die Figurenzeichnung bleibt übersichtlich.

Zustande kommt der Abend durch die wagemutige Santinis-Produktion. Sie stemmt ohne einen Cent Subventionen Stücke wie Haidles Komödie oder das Familienepos "August: Orange County", die andernorts von großen Staatstheatern aufgeführt werden. Ohne Maria Furtwängler gäbe es die Santinis wahrscheinlich gar nicht: Die Idee, einfach selbst Theateraufführungen zu produzieren, entstand vor fünf Jahren in einem Workshop, an dem auch Furtwängler teilnahm. Die erste Santinis-Produktion "Gerüchte Gerüchte" war vor vier Jahren ihr Theaterdebüt. Die neue Produktion ist etwas altmodisches, aber nicht unsympathisches Theater, auch wenn es sich manchmal wie ein dreidimensionaler Fernsehabend anfühlt. Sogar der Flunder, die nach 90 Minuten im Backofen ein wenig matschiger als Ronens Inszenierung sein dürfte, erbarmt sich am Ende noch ein Esser: Der Ehemann ist kurz vor dem Weltuntergang zu seiner ewigen Hausfrau zurückgekehrt, schließlich braucht im Boulevardtheater auch die Sintflut ein Happy End.

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