Theater:Gut geschleimt ist halb geerbt

Theater: Noch grinsen sie. Gleich aber werden Volpones sogenannte Freunde erfahren, wer wirklich im Testament mit Reichtum bedacht ist und ob ihre Avancen Erfolg hatten. Von links: Jonathan Hutter, Carolin Hartmann, Jonathan Müller, Nina Steils, Peter Miterrutzner und - im Sarg - Silas Breiding.

Noch grinsen sie. Gleich aber werden Volpones sogenannte Freunde erfahren, wer wirklich im Testament mit Reichtum bedacht ist und ob ihre Avancen Erfolg hatten. Von links: Jonathan Hutter, Carolin Hartmann, Jonathan Müller, Nina Steils, Peter Miterrutzner und - im Sarg - Silas Breiding.

(Foto: Gabriela Neeb)

Abdullah Kenan Karaca inszeniert am Volkstheater "Volpone" von Stefan Zweig nach Ben Jonson. Die exakt gearbeitete Komödie um Gier und falsche Freunde ist kurzweiliger, als gedacht

Von Christiane Lutz

Zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten. Das kann sich verdammt lang anfühlen, vor allem nach einem langen Arbeitstag. Zwei Stunden fünfundvierzig, so lange, das steht im Programmheft, soll Abdullah Kenan Karacas "Volpone" im Volkstheater dauern. Zumutung. Dabei ist Karaca eigentlich für seine knackigen 90-Minüter bekannt. Manchmal vergessen die Regisseure, für wen sie da Theater machen, denkt man, abgehetzt und leicht grummelnd beim Einlass. Was ein Regisseur nicht in 90 Minuten erzählt bekommt, kriegt er auch in zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten nicht hin.

Zwei Stunden, fünfundvierzig Minuten später: große Entspannung und ein Gefühl von angenehmer Albernheit. So, als hätte man ein paar Runden zu viel mit dem Kettenkarussell gedreht. Was ist passiert? Nun, Jakob Immervoll, Silas Breiding, Carolin Hartmann, Jonathan Hutter, Nina Steils, Peter Mitterrutzner, Jonathan Müller und Yannik Stöbener sind passiert. Diesen Schauspielern nämlich gelingt es, Spannung und Tempo über die ganze Zeit hoch zu halten und aus einem etwas muffigen Stoff einen äußerst frischen Theaterabend zu zaubern.

Im Stück geht es um den venezianischen Kaufmann Volpone, der mit Hilfe seines Dieners Mosca sein eigenes Ableben inszeniert, um die Loyalität seiner Freunde, nein, die Gier seiner Freunde auf die Probe zu stellen. Die nämlich schleimen alle der Reihe nach herbei ins Sterbezimmer (schöne, schlichte Bühne von Vincent Mesnaritsch), verteilen Blumenkränze "In baldiger Trauer" und hoffen, sich noch irgendwie in Volpones Testament schmeicheln zu können. Menschen dabei zuzuschauen, wie sie vor lauter (Geld-)Gier gute Erziehung und Moral vergessen, ist grausam, wenn es sich bei ihnen um Wirtschaftsbosse handelt. Im Theater hingegen ist es äußerst unterhaltsam. Niemals ist ein Mensch jämmerlicher, als wenn er sich für Geld zum Affen macht. (Huch, schon eine Stunde vorbei!)

"Volpone" schrieb der britische Autor Ben Jonson 1606 in der Tradition der Commedia dell'arte, Stefan Zweig arbeitete das Stück um, veränderte den Schluss. Die Commedia dell'arte und die italienische Kultur lässt Regisseur Karaca sanft anklingen, in typisierenden Kostümen und im musikalischen Leitmotiv, der Händel-Arie "Lascia ch'io pianga". Wahrscheinlich aber hat Karaca zur Vorbereitung der Produktion eher Sitcoms geschaut. Denn in ihrem exakt gearbeiteten Spiel bedienen sich die Schauspieler eher bei modernen Experten des Humors. Tür auf, Joke perfekt platziert, Tür zu. Die "Freunde" wirken wie eine fiese Version der "Friends" oder der "Big Bang Theory". An deren androgynen Oberstreber Sheldon Cooper jedenfalls erinnert Jakob Immervoll - neu im Ensemble - , wenn er als Diener Mosca herumtänzelt. Wie Cooper ist auch er den anderen stets einen schlaumeierischen Kommentar voraus und kichert über die eigene Gerissenheit. Immervoll dürfte nach dieser Vorstellung nicht mehr der Neue, sondern der richtig schön Durchgeknallte im Ensemble sein. (Pause! Zweiter Teil!) Carolin Hartmann - viel zu selten für komische Rollen besetzt - spielt die Colomba wie einen trampelnden Disney-Fiesling, ausstaffiert als Stummfilm-Diva. Und Silas Breidings hyperventilierender Volpone siecht so derart wild entschlossen vor sich hin, dass man ihm gern wirklich was zur Beruhigung verabreichen würde. (Zweieinhalb Stunden. Schon gleich aus?)

Sicher wird es Mosernde geben, die fragen, ob es diese Inszenierung genau jetzt braucht. Denn Karaca verzichtet auf krampfige Gegenwartsbezüge und Pseudo-Aktualisierung und Meta-Ebenen, wie sie Germanisten lieben. Aber ja, das Theater braucht so einen "Volpone" immer. Einen "Volpone", der vor Spielfreude platzt, inszeniert von einem Regisseur, der nie vergisst, für wen er da Theater macht.

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