Theater:Gretchens Kampf mit Gott

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In der "Faust"- Inszenierung, mit der sich das Düsseldorfer Schauspielhaus von seiner gewohnten Spielstätte verabschiedet, tritt Mephisto in vierfacher Gestalt auf - das Kraftzentrum des Abends aber ist Gretchen.

Von Martin Krumbholz

Mit einem "Faust" wurde das Düsseldorfer Schauspielhaus einst eröffnet (von Karl-Heinz Stroux), mit einem "Faust" wird es nun vorläufig - mindestens bis Mitte 2017 - auch geschlossen. Besonders festlich ist keinem dabei zumute, es gab Ärger wegen verschleppter Baumaßnahmen, verständliche Verstimmung auch beim designierten neuen Intendanten Wilfried Schulz, der derweil nach weiteren Spielorten in der Stadt forscht, neben dem Ausweichquartier "Central" am Hauptbahnhof, in das bald auch "Faust I" umziehen wird.

"Ich bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen", sind die ersten Worte, die Stefan Hunstein als Faust hervorstößt, er wirkt gehetzt dabei, schweißüberströmt schon am Anfang, am Boden sitzend, den Laptop auf dem Schoß. Die Prologe sind in Georg Schmiedleitners Inszenierung gestrichen. Faust hat sich in einen kalten Betonbunker mit Oberlichtern verkrochen, neben sich einen Drucker, aus dem endlos Papierströme quellen (Bühne: Harald Thor). Doch was auch immer der gequälte Gelehrte zu Papier bringt, seine Stimmung ist eindeutig suizidal. Dabei hat Hunsteins Faust eine nervöse Kraft, er überzeugt als Forschender, der gern "was Rechtes" wüsste, mehr als später, wenn er einem naiven Bürgermädchen nachstellt. Famulus Wagner (Konstantin Bühler), der den Doktor in der Osternacht zu stören wagt, hat selbstbewusst die Hände in den Hosentaschen stecken, er wird in der Hexenküche, mit Fremdwörtern operierend, die nicht bei Goethe stehen, den Cocktail komponieren, der Faust verjüngt und mit einem Schlag ins brausende Leben zurückwirft.

Der Teufel tritt gleich vierfach auf - als multipler Mephisto

Da hat Faust schon die Wette mit den vier Mephisti geschlossen. Der Teufel tritt hier nämlich vierfach auf, vier Spielarten des Bösen verkörpernd: als Zyniker (Jakob Schneider), als kokettes Teufelchen (Karin Pfammatter), als Vamp (Katrin Hauptmann) und derber Fiesling (Thiemo Schwarz). Den Text teilen sie sich, manchmal sprechen sie auch im Chor, klimpern auf E-Gitarren, setzen sich Clownsnasen auf oder Perücken, um schnell einmal die kupplerische Marthe Schwerdtlein zu improvisieren. Jedenfalls ersetzt der multiple Mephistopheles radikal die tradierte Großschauspieler-Ikone, wie sie sich vor allem in Gustaf Gründgens manifestiert hat.

Das ist nicht zwingend, aber möglich, warum nicht - wenngleich die vier stets an einem Strang ziehen und nicht etwa konkurrierende Konzepte der Destruktion in petto haben. Die hat Goethe nun einmal nicht vorgesehen. Und auf Hunsteins Spiel hat die Vermehrung des Teufels kaum Einfluss. Faust möchte flugs bei so etwas wie Gretchen landen, denn er sieht Helenen nun "in jedem Weibe".

An dieser Stelle erfährt die Inszenierung ihre entscheidende Wendung. Man traut kaum seinen Augen: Wie Katharina Lütten in ihrem himmelblauen Faltenkleid plötzlich dasteht, mit großen Augen und halb geöffnetem Mund, verkörpert sie die heilige Einfalt, zugleich aber, das ist das Kunststück, jenes "Ahnungsvolle", von dem später auch im Text die Rede ist. Margarete unterdrückt geradezu gewaltsam ihren Instinkt, der sie vor dem Verführer Faust warnen müsste, und die Regie steuert, ohne zu fackeln, auf die Gretchentragödie zu. Der "Boogie-Woogie der Hormone" (Arthur Miller) tut sein Teufelswerk, letztlich ist der Sex pures Chemieprodukt, das hat Goethe in der Hexenküchenszene schließlich glasklar entwickelt. Die Walpurgisnacht wird knapp angedeutet, obwohl die vier Mephisti hier reichlich zu tun hätten, aber das würde den Gang der Tragödie nur verlangsamen (die Aufführung dauert kaum zwei Stunden).

Überhaupt gehen die weniger ernsthaften Facetten des Dramas flöten. Die Gewichte sind verschoben: Katharina Lüttens Gretchen wird zum Ereignis des Abends, denn mit ihr - und weniger mit dem rasch abkühlenden Faust - leidet man empfindlich mit. Sie gibt ihrer strengen Mutter den "Schlaftrunk", von dem sie wohl nicht nur ahnt, dass er tödlich ist; sie riskiert nicht nur Kopf und Kragen, sie gibt beides sehenden Auges preis. Die Szene mit ihrem sterbenden Bruder Valentin (wiederum Konstantin Bühler), den Faust auf dem Gewissen hat, wird zum ergreifenden Todestanz. Und das (hier) anschließende "Ach neige, du Schmerzenreiche" entwickelt sich zum Protestschrei gegen eine Welt, in der die Liebe erbarmungslos in den Untergang führt - letztlich also, in Gretchens Logik, gegen Gott. Der Besetzungscoup des vierfachen Mephisto bleibt eine Arabeske; mit der emotional brisanten Fokussierung auf die Eroberung und Vernichtung Gretchens hat die Inszenierung gleichwohl ein starkes Kraftzentrum.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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