Theater:Gleiches Leid in wechselnden Zeiten

Servus Salam

Im Zuge der Probenarbeit entwickelten die Mitwirkenden eine neue Tanzform: Aus dem orientalischen Dabke und dem bayerischen Schuhplattler entstand der "Dabplattler".

(Foto: Thomas Dashuber)

Das generationenübergreifende Theaterprojekt "Servus - Salam" hat im Marstall Premiere. Auf der Bühne begegnen einander elf Münchner Senioren und elf jugendliche Flüchtlinge

Von Barbara Hordych

Fluchtwege können verbinden - über Generationen und Kulturen hinweg. "Wir Deutschstämmige mussten weiße Armbinden tragen und durften die öffentlichen Verkehrsmittel nicht benutzen. Ich war zehn Jahre, hab die Binde abgenommen und bin mit meiner Freundin Straßenbahn gefahren. Wir haben einfach laut tschechisch gesprochen. Dann kamen die Benes-Dekrete der Regierung: Wir mussten gehen", spricht die 82-Jährige Renate ins Mikrofon. "Ich hab über die Nachrichten erfahren, dass in Daraa die Revolution angefangen hat", greift die zwanzigjährige Syrerin Sali, einige Schritte entfernt vor einem anderen Mikrofon stehend, den Erzählfaden auf. So weit die Orte der Erinnerung historisch und geografisch auseinanderliegen, sie kulminieren in einer parallelen Aktion: "Sechs Uhr morgens sind wir aufgebrochen".

Renate und Sali sind zwei von 22 Protagonisten des Theaterprojekts "Servus Salam", das am Donnerstag Premiere im Marstall hat. Was passiert, wenn Erzählungen von Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg auf Erzählungen über die Flucht aus Syrien treffen? Dies war eine der zentralen Fragen, die Regisseurin Uta Plate elf jugendlichen Flüchtlingen und elf Münchner Senioren - und sich selber stellte. "Auch in meiner Linie mütterlicherseits gab es Flüchtlinge, Vertriebene", sagt Plate. 15 Jahre lang war sie als Theaterpädagogin an der Schaubühne in Berlin tätig, Regie führte sie bei generationenübergreifenden Projekten in Schweden, in Dänemark und in der Schweiz. Im vergangenen September begann die gebürtige Schleswigerin nach den Mitwirkenden für ihr Gastprojekt am Residenztheater zu suchen.

Ein zeitaufwendiger Prozess, gewiss. Die Münchner Senioren meldeten sich über Aufrufe in den Zeitungen schnell, erzählt Plate nach der Durchlaufprobe im Marstall. Aber jugendliche Flüchtlinge zu kontaktieren, war komplizierter. Mehrmals besuchte sie die Flüchtlingsunterkunft in Eichenau. Wie gelang es ihr, die 16- bis 21-Jährigen für ihr Projekt zu gewinnen? "Das Interesse war eigentlich sofort da", sagt Plate. "Nur ohne die Unterstützung der Mitarbeiter des Kreisjugendrings bei der Organisation, wären die Termine und Wege für die Jugendlichen nicht zu bewältigen gewesen".

Zeitaufwendig gestaltete sich auch die Überwindung der sprachlichen Hürden. "Wenn beispielsweise Renate und Sali einander verstehen wollten, mussten wir aus dem Deutschen erst ins Englische und von da ins Arabische und alles wieder zurückübersetzen", sagt Plate. Als Dolmetscher war der Videotechniker Ehab Altamer, der aus dem Englischen ins Arabische übersetzte, "ein Glücksfall". "Alles dauerte so zwar dreimal länger, dafür war dann aber auch die Ernte dreimal so hoch", sagt Plate.

Aus den über Monate hinweg geführten Interviews entwickelte sie ein Stück mit 21 kurzen Szenen. Die nehmen die Fluchtgeschichten zum Ausgangspunkt, bleiben aber nicht dabei stehen. "Es ging mir darum, einen neuen Generationenvertrag auszuhandeln", sagt Plate. Zwischen den Alteingesessenen, die bald der Hilfe bedürften, und den Neuankömmlingen, die Hilfe brauchten. "Aber ich wollte sie auch aus ihrer Opferrolle herausholen, den Spieß einmal umdrehen", sagt Plate. Weshalb sie die Jugendlichen dazu ermunterte, auch unangenehmere Fragen zu stellen. "Beispielsweise die, ob wir keine Kinder mögen? In ihren Augen sind wir eben eine wahnsinnig alte Gesellschaft".

So bewerben sich in einer anderen Szene die allein lebenden Senioren Adelheid, Irmi und Hartmut um die "Arbeits- und Kümmerkraft" des jungen Uday. Der aber reagiert eher unwirsch auf die Annäherungsversuche der Alten, die sich hinter seinem Rücken näher an ihn heranschleichen. "Ich glaube, wir brauchen dich. Also, das Geld geht aus. In der Rentenkasse. Es sind nun immer weniger Kinder", argumentieren sie abwechselnd. "Zurück" blockt sie Uday ein ums andere Mal ab, wenn er sie beim Umdrehen dabei ertappt, wie sie sich ihm zu nähern versuchen. Eine schöne Idee der Regisseurin, diese Szene "Bewerbung Ochs vorm Berg" in der Art des gleichnamigen Kinderspiels zu inszenieren. Schließlich wendet sich Uday aber doch seinen "Bewerbern" zu, erklärt ihnen seine eigenen Vorbehalte und Befürchtungen. "Ich will nicht mit euch leben. Ich habe eine Familie. Bei uns besuchen sich alle Verwandte gegenseitig. Wir sitzen immer gerne zusammen und nicht nur in den Zimmern. Außerdem hab ich Angst, dass ich meine Religion vergesse."

Der 19-jährige Uday Alturk sei im Übrigen auch ein Glücksfall für die Produktion, sagt Uta Plate. Vor drei Jahren kam er mit seiner Familie aus Syrien nach München. Heute besucht er eine berufsvorbereitende Schule, kickt bei der SpVgg Feldmoching, singt im syrischen Friedenschor. Bei einem Auftritt fragte ihn Uta Plate spontan, ob er bei ihrem Projekt mitmachen wolle. "Ich mag es, aktiv zu sein, also dachte ich: Ja, warum nicht?", lautete die ebenso spontane Antwort des jungen Syrers. Jetzt ist er eine der Schlüsselfiguren in der Produktion, die er auch auf dem Keyboard begleitet.

Für Joachim, den 74 Jahre alten Münchner Architekten, ist das Theaterprojekt so etwas wie eine Reise in seine eigene Vergangenheit. In der Szene "Bau-Utopie" stellt er sein Herzensprojekt vor: ein Mehrgenerationenhaus, das er bereits vor 50 Jahren, als junger Student, für Kassel entworfen hat. Denn warum sollen die Alten immer an den Rand der Stadt? Sein Wunsch ist ein Mehrgenerationenprojekt für etwa 240 Menschen mitten in München. Man wohnt je nach Bedarf in einem, zwei oder drei Zimmern. Pro Wohneinheit von acht Leuten gibt es eine Gemeinschaftsküche, einen gemeinsamen Wohnbereich und eine Terrasse. Denn: "Keiner von uns will einsam sein, vielleicht mal allein, doch meist gemeinsam. Als Architekt sag ich: Lasst uns ein Dorf in der Stadt bauen!"

Servus - Salam, Premiere Do., 11. Mai, 19.30 Uhr, weitere Termine 12., 13., 15. Mai, Marstall

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