Theater:Flexible Wahrheiten

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Thomas Darchinger spielt Journalismus in der Drehleier

Von Jana-Maria Mayer, München

Journalisten sind auch Menschen. Und Journalismus unterliegt auch den Gesetzen des Kapitalismus. Man könnte den Abend in der Drehleier auf diese beiden Aussagen herunterbrechen. Aber dann gibt es da doch mehr anzumerken. Zum Beispiel die teils aberwitzigen Gedankenstricke, die der Autor Johannes Kram seiner wuseligen Hauptfigur Marco, gespielt von Thomas Darchinger, in den Mund gelegt hat, und die die Widersprüche einer ganzen Zivilgesellschaft entlarven. Und dann wäre da die ewige Suche nach der Wahrheit, die erst dann beendet ist, wenn eine Wahrheit gefunden ist, die sich gut verkaufen lässt. Was wiederum zur ewigen Schuldfrage, dem Henne-Ei-Problem des Journalismus, führt: Ist es das Medium mit seinem Angebot, das zuerst da war, oder der Rezipient mit seinem Konsumverhalten?

"Seite Eins, ein Stück für einen Mann und ein Smartphone" ist ein kurzweiliges, aber in seiner Kurzweiligkeit verworren schlaues Monodrama über einen Boulevardjournalisten, der per Headset-Telefonat ganze Schicksale verändert. Es ist gleichermaßen ein Rundumschlag auf alles, was eine ganze Kultur zusammenhält. Jeder bekommt sein Fett weg: Die FDP, Tiere, Lady Di. Aber vor allem der Zuschauer selbst, der nämlich zum Voyeur wird, weil er bis zum Ende des Stücks nicht von der Bühne ablässt, obwohl er dazu aufgerufen wird.

Darchinger, auf der Bühne mit Sitzsack und Lametta positioniert, spielt seine Rolle fahrig und wirkt teilweise nicht präsent, was aber seine Darbietung des geschäftigen Boulevardjournalisten sogar glaubhaft macht. Der bayerische Mime, bekannt für sein souveränes Spiel als Bösewicht in zahlreichen TV-Krimis, glänzt vollständig erst an den wirklich fiesen Stellen. So muss das Publikum nicht nur über sich ergehen lassen, wie der schmierige Protagonist eine ruhmsüchtige Sängerin erpresst. Es ist auch noch einer populistischen Phrasendrescherei ausgesetzt, die sich zu mehr und minder einleuchtenden Pointen zuspitzt: "Wir wollen nicht, dass die Gesellschaft vor die Hunde geht, deshalb zeigen wir Krizzys Titten", sagt Marco. In seiner ganzen Plattheit ist der von Darchinger gespielte Typus die perfekte Verkörperung des Boulevardjournalisten: Er ist ein Arsch, aber so ein witziger Arsch, dass man ihm alles abkauft.

© SZ vom 10.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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