Theater:Endstation Schrankwand

Theater: "Ja, eh!": Lena Kalisch, Saskia Klar und Miriam Fussenegger (v.l.) hängen in einem Tschocherl ab. Ein Tschocherl nennt man in Wien eine Spelunke.

"Ja, eh!": Lena Kalisch, Saskia Klar und Miriam Fussenegger (v.l.) hängen in einem Tschocherl ab. Ein Tschocherl nennt man in Wien eine Spelunke.

(Foto: Ingo Pertramer)

Beisl, Bier und Bachmann-Preis: ein räudiger kleiner Abend mit Texten von Stefanie Sargnagel im Wiener Rabenhof.

Von Wolfgang Kralicek

Das Leben der anderen ist eine Wohnzimmerschrankwand. Mit Fernseher, einer Vitrine für die schönen Gläser und einem prominenten Platz für die Urlaubssouvenirs. Manchmal stellt Stefanie Sargnagel sich vor, wie das wäre, wenn sie ein Leben führte, in dem sie jeden Abend vor einer solchen Schrankwand sitzen und den RTL-Spielfilm schauen würde. Aber dann fällt ihr ein, dass sie dann ja nicht im Beisl sitzen und Bier trinken könnte. Nein, richtiges Leben ist keine Option für Stefanie Sargnagel.

Die 31-jährige Wiener Autorin und Zeichnerin hat sich als Stimme des kreativen Prekariats etabliert; ihre gallig-komischen Facebook-Postings, ein Journal des würdevollen Versagens, füllen inzwischen drei Bücher, ein neues ist für Juli bei Rowohlt angekündigt. Im vergangenen Jahr gewann Stefanie Sargnagel beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt den Publikumspreis. Und im Wiener Rabenhof-Theater wurden Sargnagel-Texte nun erstmals auf die Bühne gebracht. "Ja, eh!" heißt der 70-Minüter, und der Titel bringt das darin beschriebene Lebensgefühl auf die kürzestmögliche Form: "Ja, eh!" ist die österreichische Universalantwort auf alle großen und kleinen Fragen des Lebens. So ist es halt, was soll man machen.

Das Bühnenbild (Sarah Sassen), eine dunkle Holzfront, stellt den Schankbereich eines Beisls dar. Hinter den Türen in der Wand verbergen sich hier aber nicht gekühlte Getränke, sondern allerlei Dinge, die für Sargnagels Welt stehen, eine Schreibmaschine etwa oder eine kleine Discokugel. Ihr Wohnzimmerschrank ist die Schankwand eines "Tschocherls". Ein Tschocherl bezeichnet in Wien die unterste gastronomische Kategorie; Einrichtung und Publikum haben schon bessere Zeiten gesehen, dafür sind die Getränke billig, und es wird geraucht, als gäbe es kein Morgen. Vor allem aber schätzt Sargnagel an solchen Lokalen, dass man dort als tendenziell depressiver Mensch seine Ruhe haben kann. "Ich geh gerne in diese Tschocherln, weil dort niemand von einem erwartet, dass man Spaß hat", schreibt sie.

Der neue Job raubt der Autorin jene Energie, die sie eigentlich zum Rumhängen bräuchte

Basis des von Christina Tscharyiski inszenierten Abends (Untertitel: "Beisl, Bier und Bachmannpreis") ist jener Text, mit dem Sargnagel in Klagenfurt antrat. Sie beschreibt darin 24 Stunden aus dem Leben einer Autorin, die sich erst daran gewöhnen muss, dass sie mit ihren Texten inzwischen Geld verdient. "Dieser Job raubt mir die ganze Energie, die ich eigentlich zum Rumhängen und Nichtstun benötigen würde." Zuerst kommt sie auf die für ihre Verhältnisse exotische Idee, eislaufen zu gehen, dann geht sie mit einer liebeskranken Freundin ins Tschocherl, und am Katervormittag danach besucht sie, weil ihr gerade nichts Besseres einfällt, ein Möbelhaus.

Im Vorfeld hatte das Theater angekündigt, dass auch Sargnagels Fehde mit dem Schriftstellerkollegen Thomas Glavinic (der sie auf Twitter als "Rollmops" bezeichnet hatte) und der Volkszorn, den das Boulevardblatt Kronen-Zeitung unlängst gegen Sargnagel geschürt hatte (die SZ berichtete), im Stück thematisiert würden. Davon ist man offenbar wieder abgekommen; weder Glavinic noch die Kronen-Hasspostings werden angesprochen. Aufgeteilt ist der Text auf drei erfrischend uneitle Schauspielerinnen (Miriam Fussenegger, Lena Kalisch und Saskia Klar). In deren löchrigen Pullis und schlabberigen Jogginghosen (Kostüme: Cátia Palminha) würde sich zwar bestimmt auch die Autorin wohlfühlen, aber Sargnagel-Alter-Egos sollen die drei offenbar nicht darstellen. Es geht hier ja darum, erstmals zu testen, ob diese radikal persönlichen Texte auch ohne die Person funktionieren, die sie geschrieben hat. Und? Ja, eh!

Zusammen mit den Schauspielerinnen sind vier Musiker auf der Bühne, Voodoo Jürgens und seine Band. Das passt, denn der 33-jährige Dialekt-Liedermacher, der mit seinem Debütalbum 2016 auf Platz eins der österreichischen Charts war, ist so etwas wie das männliche Pendant zu Sargnagel. Auch Voodoo Jürgens hält sich mit Vorliebe in verrauchten Spelunken auf, er erzählt in seinen Liedern aber mehr von den Menschen, denen er dort begegnet, als von sich selbst. Seine Geschichten sind hart wie das echte Leben, aber im Vorstadtstrizzi-Outfit (billiger Anzug, dicke Ketten) des schmächtigen Mannes steckt ein sympathischer, warmherziger Entertainer.

Stefanie Sargnagel und Voodoo Jürgens verkörpern erfolgreich die Sehnsucht nach einem Leben, in dem man auch ohne Wohnzimmerschrankwand glücklich sein kann. Wer die Botschaft dieses räudigen kleinen Theaterabends verstanden hat, begibt sich danach umgehend ins nächste Tschocherl.

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