Theater:"Ein Patentrezept gibt es nicht"

David Bösch und Amélie Niermeyer über ihre Arbeit an den Eröffnungspremieren des Residenztheaters

interview Von Egbert Tholl

Staatstheater-Doppelstart: Am Freitag, 25. September, hat David Böschs Inszenierung von Kleists "Prinz von Homburg" im Residenztheater Premiere, tags darauf folgt "Die Netzwelt" von Jennifer Haley im Cuvilliéstheater - Amélie Niermeyer inszeniert die deutsche Erstaufführung des Stücks über virtuelle und reale Welten, Triebe, Verlangen und Macht.

SZ: Wie lernt man, als Regisseur mit Schauspielern umzugehen?

Beide: Tja - großer gemeinsamer Seufzer.

Amélie Niermeyer: Was für eine Frage in den Endproben!

David Bösch: Das ist schwierig zu beantworten, weil man jeden Schauspieler über andere Wege erreicht. Auf der Schauspielschule hatte ich eine Lehrerin, die mit jedem Darsteller ganz unterschiedliche Wege gegangen ist. Wie man jemanden wohin kriegt, muss man erst herausfinden. Das ist auch bei jedem Stück anders: Nun bei Kleist muss man erst lernen, mit der Sprache umzugehen, auch ich selbst. Das Patentrezept gibt es leider Gottes nicht.

Niermeyer: Ich habe selber mal "Prinz von Homburg" inszeniert - da geht es wirklich stark um Sprache. "Netzwelt" ist ganz anders, da begegnet man Alltagssprache, da stellt sich viel mehr die Frage, wie man diese Netzwelt auf der Bühne etablieren kann. Grundsätzlich finde ich auch: Es ist schwierig zu erlernen, mit Schauspielern umzugehen. Bei "Netzwelt" habe ich es mit völlig unterschiedlichen Schauspielern zu tun: Ganz jungen, die direkt von der Schauspielschule kommen, dann etwa Juliane Köhler, die komplett anders arbeitet als Norman Hacker. Da muss man eben gucken, wie kriegt man die Leute zusammen. Das hat sehr viel mit Beobachten zu tun.

Bösch: Herbert Fritsch sagte einmal, dass es schon okay sei, dass nicht jeder Schauspieler mit jedem Regisseur arbeiten kann.

Niermeyer: Und dann ist es schön, wenn man wiederholt mit denselben Leuten arbeiten kann. Du hast selbst schon viel mit Shenja Lacher gemacht, der nun dein Homburg ist, ich mit Juliane, Norman und Götz Schulte - da spricht man schneller eine gemeinsame Sprache.

Dürfen Sie sich Ihre Besetzungen selbst frei aussuchen?

Niermeyer: Ja. Nur wenn gerade mehrere Produktionen gleichzeitig vorbereitet werden, muss man schon ein bisschen kämpfen. Hauptrollen haben natürlich Vorrang - wenn ich jetzt Shenja Lacher gerne besetzt hätte, wäre die Antwort gewesen: Hör zu, der spielt den Homburg. Bei unseren beiden Arbeiten hat sich zum Glück nichts überschnitten. Grundsätzlich haben wir jetzt beide die Besetzungen, die wir wollten. Martin Kušej schaut da schon sehr genau.

Prinz von homburg

Hier droht dann doch das Ende der Sprache: Shenja Lacher als Titelheld in David Böschs Inszenierung von Kleists "Prinz von Homburg".

(Foto: Thomas Dashuber)

Bösch: Dazu kommt ja auch oft die Frage wie jetzt bei "Homburg", welche Fassung man macht, also sprich: Wie viele Leute man braucht.

Niermeyer: Stimmt das, dass ihr recht kurz seid?

Bösch: Ja, circa 105 Minuten. Ich habe einmal recherchiert - der Durchschnitt liegt so bei hundert Minuten. Wir sind also gar nicht extrem kurz. Zu der Zeit, als du den "Homburg" machtest, war das wahrscheinlich noch anders.

Niermeyer: Das stimmt schon, als ich vor 20 Jahren "Homburg" inszenierte, wurde noch - gerade bei Kleist - über jeden einzelnen Strich lange diskutiert. Ich habe dann viel Prügel gekriegt, weil der Homburg anfangs in Unterhosen da stand - ich dachte, das sei das Normalste der Welt, immerhin hat er geschlafwandelt. Darüber regte man sich damals in Frankfurt auf; das war wirklich noch eine andere Zeit.

Sind Sie froh, dass Sie in diese Zeit nicht mehr hineingeboren wurden?

Bösch: Ach, ich bin froh, dass ich überhaupt geboren wurde.

Ach jöh.

Bösch: Ich glaube, diese Zeit, mit den Schauspielern damals, wäre genau so spannend gewesen wie jetzt.

Niermeyer: Ich weiß auch nicht, ob es insgesamt so anders war. Bei Kleist spürte man es halt, die Deutschen haben eine ganz große Hochachtung vor Kleist, mit Recht.

Registrieren Sie Moden in der Regie?

Niermeyer: Ja natürlich. Aber das finde ich bei David sehr schön, dass er diese Moden nicht mitmacht. Wenn ich nun schon einmal die Gelegenheit dazu habe, das zu sagen: Ich finde, du hast einen ganz eigenen Stil, voller Poesie, verspielt, was man auch bei deinen Opernabenden merkt. Du hast deinen Weg gefunden, und es scheint dich nicht zu kümmern, was gerade in ist. Diese Verbindung aus Leichtigkeit und der Tiefe, Stücke zu erfassen, finde ich etwas ganz Besonderes. Auch wenn dann manche sagen, dass sei doch konventionell.

Bösch: Das ist sehr schön, was du über die Leichtigkeit sagst, aber gerade bin ich mir nicht sicher, ob man mit Kleist jemals fertig sein kann. Die Verzahnung der Sprache mit dem Plot ist so engmaschig, dass man genau schauen muss, wie man da hinein kommt. Ich habe schon Kleist inszeniert, zwei Mal "Das Käthchen von Heilbronn", und beide Male völlig unterschiedlich. Würde ich es ein drittes Mal inszenieren, wüsste ich auch nicht, wie es aussähe. Das mit der Leichtigkeit und der Konventionalität ist ein interessantes Thema: Wenn Schauspieler Figuren darstellen können, mit welcher Schnittmenge von Anverwandlung auch immer, ist das nichts, was man entschuldigen müsste. Ich fände es wirklich schade, wenn die große dramatische Literatur ins Hintertreffen geriete, weil wir uns nicht mehr mit ihren Figuren auseinandersetzen. Wenn ich das so sage, dann denke ich zwar, bin ich schon 60? Aber . . .

Niermeyer: . . . wenn man sich ernsthaft mit den Figuren auseinandersetzt, wird einem gleich vorgeworfen, man müsse doch noch etwas draufsetzen. Dabei ist die Suche nach den Figuren das Schwerste, eine Idee draufhauen, damit es auffällt, ist vergleichsweise leicht.

Aber Sie wüssten, was ankommt oder gerade gefragt ist?

Niermeyer: Ich versuche das immer aus dem Stoff heraus zu entwickeln. Bei "Netzwelt" stehe ich einfach vor der Frage, wie ich diese Computerwelt auf die Bühne bringen kann. Dabei ist das Links- und Rechtsschauen, was gerade in ist, wenig zielführend. Die Nachmacher sind nie gut, ein nachgemachter Castorf oder Marthaler ist halt kein Castorf oder Marthaler, das spürt man. Dich interessiert das eh nicht, oder?

Bösch: Ich finde das Arbeiten schon anstrengend genug, da kann ich mich nicht auch noch um so etwas kümmern. Ich las gerade ein Interview mit Sebastian Schipper, dem Regisseur des Kinofilms "Victoria", der vor 16 Jahren "Absolute Giganten" gedreht hat, meinen Lieblingsfilm damals. Interessant fand ich nun, wie Schipper erzählte, dass er "Victoria" gedreht hat, auch um sich selbst zu überlisten: Er sieht sich selbst als Kontrollfreak, und dadurch, dass er "Victoria" ohne einen Schnitt drehte, die Schauspieler also machen lassen musste, musste er auch einen Teil der Kontrolle abgeben. Diese Erkenntnis, wo stehe ich mir selbst beim Arbeiten im Wege und wie kann ich damit umgehen, finde ich unglaublich spannend. Und nutzbar, inspirierend - ein seltsames Wort eigentlich.

Niermeyer: Man will ja selber weiterkommen, und da hat man schon genug damit zu tun, das eigene Arbeiten immer wieder zu hinterfragen.

Und so landeten Sie beide im Zuge der eigenen Weiterentwicklung bei der Oper. Hatte das etwas Unausweichliches?

Bösch: Ich habe nie damit gerechnet, einmal Oper zu machen; gleichzeitig gab es viele, die mich darauf ansprachen. Als dies dann schließlich Nikolaus Bachler von der Bayerischen Staatsoper tat, habe ich nachgefragt, wie er denn auf diese Idee komme. Er meinte dann, dass meine Art für das Erzählen in der Oper geeignet sei. Dann dachte ich mir, okay, wenn Herr Bachler mir das zutraut, vertraue ich ihm. Schließlich war es dann eine sehr beglückende Erfahrung, wegen der Emotionalität und auch, weil man mit Sängern sehr gut schauspielerisch arbeiten kann. Oper und Schauspiel haben sehr viele Ähnlichkeiten, aber auch viele Unterschiede. Im Grunde ist es ein zweiter Beruf. Das ist bei mir familiär bedingt; Die Männer in unserer Familie hatten immer zwei Jobs. Mein Großvater war Schlachter und Maurer, mein Vater ist Theologe und Psychologe.

Da könnte man darüber nachdenken, ob der Opernregisseur eher der Schlachter oder der Maurer ist.

Niermeyer: Das sind wirklich zwei Berufe, das finde ich auch. Ich war ja früher Intendantin und Schauspielregisseurin, das war vielleicht noch weiter voneinander entfernt, jetzt bin ich nebenh meiner Arbeit am Mozarteum Opern- und Schauspielregisseurin. Für mich war das Musiktheater wirklich eine Neuentdeckung. Einerseits ist die Arbeit mit Sängern und Schauspielern gar nicht so unterschiedlich, andererseits musst du konzeptionell viel größere Setzungen machen, weil du ja nicht in die Musik eingreifen kannst.

Bösch: Und es gibt faszinierende Künstlerpersönlichkeiten in der Oper. Dirigenten: Was für wahnsinnige Menschen!

Niermeyer: Und die Sänger sind auch Sportler, die diskutieren nicht bis nachts um zwei, sie müssen auf ihre Stimme achten. Und kämpfen auf ganz andere Art.

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