Theater:Ein Mensch

Stadttheater Ingolstadt, grosses Haus, ' Hiob ' Urauffuehrung am 17. Februar 2018. ; Hiob Theater Ingolstadt

Amerika: Mendel (Sascha Römisch), seine Frau (Renate Knollmann), Miriam (Sarah Horak), Sam (Maik Rogge) und vorn Sams Freund Mac (Péter Polgár).

(Foto: David Baltzer)

Jochen Schölch zaubert in Ingolstadt Joseph Roths "Hiob" auf die Bühne

Von Egbert Tholl, Ingolstadt

Mitunter wiederholen sich Theaterwunder, an einem anderen Ort und mit anderen Menschen. Als vor ziemlich genau zehn Jahren Johan Simons an den Münchner Kammerspielen Joseph Roths Roman "Hiob" in der Textfassung von Koen Tachelet herausbrachte, waren sich die meisten, die die Aufführung sahen, darin einig, soeben einem Theaterwunder beigewohnt zu haben. Gut, Wunder sind selten, und nur in einem hochemotionalen Bereich wie dem Theater kommen sie überhaupt gelegentlich vor. Verblüffend ist es dann, wenn sich eines am selben Gegenstand wiederholt.

Jochen Schölch, der Leiter des Münchner Metropol-Theaters, hat nun "Hiob" am Theater Ingolstadt inszeniert, basierend ebenfalls auf Tachelets Fassung, die sich abermals als Glücksfall erweist, weil sie die Schönheit von Roths Sprache beibehält und die Struktur der Erzählung in ein Geflecht von gespielten und epischen Szenen überführt. Schölch hat schon vor vielen Jahren und immer wieder bewiesen, dass diese Art der theatralischen Erzählung ihm liegt. Nicht von ungefähr fühlt man sich in Momenten beispielsweise an die Inszenierung der "Lucie Cabrol" erinnert oder auch an andere Zaubereien, mit denen Schölch immer wieder zeigte, dass auch ein winziger Moment eine riesige Wirkung haben kann. In Ingolstadt ist einer dieser Momente die Geburt des jüngsten Sohns Menuchim. Aus einem starren Familienbild mit Eltern und den drei älteren Kindern löst sich die Mutter, indem sie aufsteht, und von ihrem Schoß plumpst Enrico Spohn, den man davor nur als Kleiderbündel wahrgenommen hat.

"Hiob" erzählt die Geschichte eines "kleinen Juden" aus einem kleinen Schtetl irgendwo in Russland. Mendel Singer hat einen direkten Draht zu Gott, er braucht keinen Rabbi, er lehrt selbst die Schrift. Mit der Geburt Menuchims bricht das Unheil langsam herein. Menuchim ist behindert und lallt nur ein Wort, "Mama". Der eine Sohn, Jonas (Claudio Gatzke), hat ein Faible fürs Militär, der andere, Schermajah (Maik Rogge), ist schlauer und desertiert in die USA, die Tochter Miriam (Sarah Horak) weiß nicht wohin mit ihrer Lust und wird ein Kosakenflittchen, worauf die Eltern beschließen, mit Schermajahs Hilfe ebenfalls in die USA auszuwandern. Zurücklassen müssen sie Jonas (beim Militär) und Menuchim (darf nicht einreisen).

Bis dahin, bis zur Pause, erzählt dies Schölch mit unaufgeregter Souveränität. Zwei Erzähler, Ralf Lichtenberg und Péter Polgár, schlüpfen dabei in diverse Rollen; fast mit Sprache allein entstehen Bilder, eine leere Drehbühne reicht, ein Paravent, ein Vorhangprospekt außen rum. Man klebt an der Geschichte, die man kennt. Und für die Reise nach Amerika fährt eine kleine Eisenbahn mit der Drehbühne herum, dann ein Dampfer, schließlich einzelne Häuser New Yorks, die Freiheitsstatue und bald darauf Leichen. Im zweiten Teil steigt der emotionale Druck enorm.

Schermarjah, als Sam in Amerika ein erfolgreicher Geschäftsmann, stirbt im Ersten Weltkrieg; Deborah, die Mutter, gerade im neuen Leben angekommen, reißt sich die Haare aus Trauer aus und stirbt - Renate Knollmann macht das beklemmend. Miriam wird wahnsinnig, Jonas ist verschollen, Mendel hadert mit seinem Gott. Er konnte nicht wirklich dazugehören, wollte das Judenviertel, das ihn wie ein Schtetl aufnahm, nicht verlassen, haderte mit Miriams freizügigen Leben, er wollte nur lieben, der sanfte, anrührende Sascha Römisch. Und nun löst er sich in Verzweiflung auf. Alle Vorhänge verschwinden, die Bühne ist gänzlich nackt und bloß, es ist ergreifend. Mendel hilft es nicht mehr, dass Menuchim wie ein Wunder als erfolgreicher Komponist und Dirigent bei ihm auftaucht. Zu viele Leiden, kein Trost mehr möglich. Und doch bleibt er, was er immer war, ein Mensch.

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