Theater Distel:"Ich empfinde es als Last, in der Öffentlichkeit zu stehen"

Linken-Politiker Gregor Gysi will bei einem Gesprächsabend Jan Böhmermanns Seele ergründen. Viel findet er jedoch nicht heraus.

Von Juliane Liebert, Berlin

Am Anfang stehen zwei rote Stühle vor tiefblauem Vorhang. Als Jan Böhmermann die Bühne des Berliner Kabarett-Theaters Distel betritt, brandet im Publikum Begeisterung auf. Lautes Klatschen.

13 000 Menschen waren laut Facebook interessiert an der Gesprächsveranstaltung mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi, an diesem Abend als Moderator tätig, und Böhmermann. Der Besuch des Satirikers hatte im Vorfeld besonderes Interesse auf sich gezogen; die Veranstaltung war blitzartig ausverkauft. Angeblich kamen, wieder laut Facebook, 1000 Menschen. 400 sind wirklich da, und geredet haben schließlich zwei.

Kaum hat sich der Applaus gelegt, beginnt Gysi forsch, seine Fragen von Karteikarten ablesend, eine hartnäckige Psychoanalyse: War es der Leukämietod von Böhmermanns Vater, der Böhmermann zu Böhmermann machte? Wurde er als Kind gemobbt, weil seine Mutter Polin war? Versteckt sich hinter Böhmermanns Lustigkeit vielleicht eine tiefe, tiefe Traurigkeit? Es wird nicht ganz klar, was Gysi glauben lässt, das seien Themen, die sein Gast vor 400 Fremden mit angespannten Lachmuskeln diskutieren möchte, Böhmermann wiegelt ihn freundlich bestimmt ab, und weiter geht's im Lebenslauf. Gysi lässt sich nicht vom Weg abbringen.

Wir lernen: Es gibt eine norddeutsche Zeitung, für die Böhmermann gearbeitet hat und wo er gelernt hat, Leserbriefschreiber zu missachten, besonders die mit vielen Titeln. Wir lernen weiter: "Radio bedeutet, dass man die ganze Zeit erzählt, wie geil man ist, ohne genau zu wissen, warum eigentlich." Das Publikum ist schwer amüsiert von den Herren auf der Bühne, die Herren auf der Bühne sind schwer amüsiert voneinander und sich selbst.

Gysi hält am Masterplan fest

Aber so richtig kann sich Gysi von seinem Masterplan - der Dekonstruktion des Mythos Böhmermann durch knallharte Küchenpsychologie - nicht lösen. Einmal in Schwung, setzt er seine investigative Lebenslauf-Fragerunde fort: Was macht man denn eigentlich in so einem Volontariat, will er wissen. Böhmermann wünscht sich offensichtlich, Gysi würde das googeln, bleibt aber charmant. Ein paar tiefe Geheimnisse erfahren wir dann doch noch:

"Ich empfinde es als Last, in der Öffentlichkeit zu stehen" antwortet er auf die Frage nach dem Privatleben. Davon sind alle so betrübt, dass sie erst mal Halbzeit brauchen. Es gibt also eine Viertelstunde Pause, "damit die Gastgeber Drogen nehmen können". Man stellt sich unvermeidlich vor, wie Böhmermann Gysi die erste Line dessen Lebens legt, und sie dann, stilles Wasser trinkend, über den tiefen Schmerz reden, in der Öffentlichkeit stehen zu müssen. Oder darüber, wie gerne sie sich selbst reden hören - so sagt Böhmermann selbst. Oder was diese verrückten Volontariate denn nun sind.

In der zweiten Hälfte lässt Gysis Konzentration etwas nach, er verwechselt seinen Gast mit Joko und Klaas (Wer soll diese ganzen Jungspunde auch auseinanderhalten?), während Böhmermann das Sprudelwasser zu Kopf steigt. "Mein Vater ist in Dresden gestorben. Danke Dresden!" ruft er, und das Publikum, das sonst brav über alles gelacht hat, worüber es lachen sollte, ist kurz unsicher, ob es sich auch über diesen Witz amüsieren darf.

Und da ist er - ein kurzer Moment tiefschwarzen Humors und wahrer Irritation. Schön gerade bei einem, dem immer gern eiskalte Selbstvermarktung vorgeworfen wird. Der aber schnell wieder vorbei ist. Zurück zum üblichen Programm. Um die Erdoğan-Debatte und das Thema "Schmähkritik" zu demonstrieren, erklärt Böhmermann dann, warum er Gysi nicht "einen kleinen Fickzwerg" nennen darf. Womit er es natürlich doch tut. Hatten wir alles schon mal, nur ein bisschen anders. Es sind die großen Fragen: Ist das jetzt Satire? Was darf Satire? Und wie weit geht Kunst? Warum sind die Stühle rot und der Vorhang blau und nicht der Vorhang rot und die Stühle blau?

Der nicht als "kleiner Fickzwerg" bezeichnete Gysi kontert souverän und betont noch mal, wie blöd er Merkels damalige Reaktion auf das Schmähgedicht (sie nannte es "bewusst verletzend") fand. Dann schließt er mit seinem Fazit, das er bestimmt schon vor dem Gespräch auf der Karteikarte hatte: Böhmermann sei ein Provokateur und das sei gut so. Na dann. Wieder was gelernt.

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