Theater:Der Tod und das Vaterland

Arnon Grünberg klaut Ideen bei der Realität, wie er sagt. Als Journalist und Autor darf er das. Sein Text "Hoppla, wir sterben!" ist ein Stück über Bayern und Afghanistan, recherchiert vor Ort

Von Christiane Lutz

Arnon Grünberg sieht im besten Sinne so aus, wie man sich einen intellektuellen New Yorker Bürger vorstellt: Wuschelkopf, Brille und ein Moleskine-Notizbuch in der Tasche. Ein bisschen Woody Allen, ein bisschen Singer-Songwriter. Gerade ist Grünberg, aus Amsterdam kommend, in München gelandet, er will sich am Abend eine Probe von "Hoppla, wir sterben!" ansehen. Ein Stück, das er für die Münchner Kammerspiele, besser gesagt für Johan Simons, geschrieben hat.

Wer jetzt denkt: "Hä? läuft das nicht schon gegenüber am Residenztheater?" irrt sich und liegt doch nicht ganz falsch. "Hoppla, wir leben!" heißt ein tragikomisches Stück von Ernst Toller aus dem Jahr 1927, in dem er die Stimmung der Weimarer Republik vor dem Zweiten Weltkrieg einfängt und das aktuell am Residenztheater zu sehen ist. "Natürlich ist mein Text eine Referenz", sagt Arnon Grünberg. Der Krieg, der bei Toller noch nicht begonnen hat, ist in Grünbergs Stück da - allerdings nicht in Deutschland, sondern in Afghanistan. Dort wurde Oberstleutnant Alexander Fuchs entführt, es läuft auf allen Nachrichtensendern, auch die Kanzlerin ist alarmiert. "Ich konnte mir vorstellen, dass eine Entführung wie diese ein Land richtig im Griff hat", sagt Grünberg, "und wollte beschreiben, wie die Öffentlichkeit darauf reagiert." So schaut er tief die Gesellschaft hinein, auf die die Nachricht der Entführung trifft. Betroffene Bürger sorgen sich, in einer oberbayerischen "Bauerndisco" sammelt man Geld für die Befreiung von Fuchs, während Angela Merkel mit Horst Seehofer eine Befreiungsaktion anvisiert. Dem gegenüber stehen Szenen arabischer Shopping-Touristen, die über die Münchner Maximilianstraße schlendern und arabische Medizin-Touristen, die ihre wiederkehrende Impotenz mit einer "Sound of Music Tour" in Salzburg kurieren möchten.

Hoppla wir sterben

Die Frauen Fuchs (Anna Drexler, Annette Paulmann, Marie Jung) umgarnen ihren Kriegsveteranen (Wolfgang Pregler).

(Foto: JU/Ostkreutz)

"Johan Simons war fasziniert von den arabischen Touristen auf der Maximilianstraße", sagt Grünberg. Simons hat das Auftragswerk als letzte große Arbeit seiner Intendanz an den Kammerspielen inszeniert und vor der Entstehung des Textes deshalb viel mit dem Autor gesprochen. "Ich aber sagte, ich wolle lieber etwas über Afghanistan schreiben, über die Bundeswehr und Kriegsheimkehrer, so sind beide Ideen zusammen gewachsen." Zwei Welten, die ineinander schwappen. Die deutsche Armee, die in Afghanistan fremd ist, die arabischen Touristen, die hier fremd scheinen. Bayern und Afghanistan.

Verhältnismäßig einfach war für Arnon Grünberg die literarische Erschaffung Bayerns. Sein Deutschland-Bild formte sich früh. Die Eltern, jüdische Berliner, flohen vor den Nazis in die Niederlande, wo Grünberg 1971 zur Welt kam. "Mein Vater hat immer Deutschlandfunk gehört und deutsche Zeitung gelesen. Deutschland war ein Land, das immer schon zu meinem Leben gehört hat", sagt er in fließendem Deutsch. Als klar war, er solle ein Stück für die Kammerspiele schreiben, zog er für zwei Monate nach München und recherchierte über Stadt und Freistaat. Er sprach mit Künstlern, Journalisten und mit Gerhard Polt über dieses Bayern. "Polt sagte: ,Bayern ist ein merkwürdiger Cocktail aus Anarchismus, Konservatismus und Katholizismus' - das fand ich sehr zutreffend."

Arno Grunberg

Arnon Grünberg, 44, war als Journalist auch in Afghanistan.

(Foto: Pascalle Bonnier)

Arnon Grünberg ist ein Autor, der reale Erfahrungen braucht, um Schreiben zu können. Dabei hilft, dass er auch Journalist ist, ein Beruf, der viele Türen öffnet zu Orten, an die man sonst nicht kommt. So war Grünberg mehrmals im Irak und in Afghanistan als "embedded Journalist", lebte eine Zeitlang mit den Truppen. "Man macht so viel wie möglich mit ihnen, nimmt Helm und Schutzweste mit, nur schießen tut man nicht." Er sagt, nachdem er jahrelang in einer regelmäßigen Kolumne über wirklich alles geschrieben hatte - Reisen, Politik, sein Liebesleben - war er durch damit, fertig. Brauchte neue Impulse. Wollte an einen Ort gehen, an den er sonst nie gehen würde. "Ich war selbst nie in der Armee und hatte nur Vorurteile", sagt er. Also ging er. "Und wenn man einmal in ein Land investiert hat, lässt es dich auch nicht wieder los."

Eine Grundverständnis für Afghanistan, beinah Zuneigung zum Land ist in "Hoppla, wir sterben!" nicht zu überlesen. Sein entführter Oberstleutnant möchte selbst gern Afghane sein, und zu Hause sorgt man sich, er habe sich zu sehr "vertieft" in die Seele der Afghanen.

"Hoppla, wir sterben!" ist ein unglaublich kluger Text über Heimat, den Krieg und über den Verlust der Männlichkeit oder dessen, was wir dafür halten. Ein Araber sucht nach seiner Potenz. Ein beinloser Kriegsveteran nistet sich bei Familie Fuchs ein und legt nacheinander des Oberstleutnants Töchter und seine Ehefrau flach, nur um zu beweisen, dass er es kann. "Ein Don Juan ohne Beine", nennt ihn Grünberg, ein manipulativer Möchtegern, dem der Krieg den halben Körper genommen hat. In den USA, wo Grünberg lebt, wird jeder im Einsatz Gefallene zum Helden stilisiert. Hier hingegen habe, so Grünberg, das Prinzip des Kriegshelden keine Anhänger mehr. Das Verhältnis zur Bundeswehr ist distanziert bis kritisch. Im Stück heißt es passend: "Wer in Afghanistan stirbt, stirbt nicht fürs Vaterland. Wer fürs Vaterland stirbt, stirbt hier."

Hoppla, wir sterben!, Uraufführung am Mittwoch, 29. April, 20 Uhr, Kammerspiele, Maximilianstraße 26, 21 83 73 00

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