Theater:Da macht das Spielen noch Freude

Peer Gynt

Nur Eimer in Stuttgart, die Schauspielerinnen Svenja Liesau, Julischka Eichel und Caroline Junghanns - aber weit und breit kein Peer Gynt.

(Foto: Conny Mirbach)

Christopher Rüping hat in Stuttgart Henrik Ibsens "Peer Gynt" herausgebracht.

Von Egbert Tholl

Der Beginn ist ausgesprochen freundlich und hat sehr viel Schönes. Vor dem eisernen Vorhang des Staatstheaters Stuttgart stehen zwei Mädchen, eines ganz links, eines ganz rechts, und sie sprechen mit verführerischem Hauch den Namen dessen, den das Stück im Titel trägt. "Peer Gynt". Wieder und wieder, wie eine Sehnsucht oder eine Verheißung, verstärkt durch Mikrofone. Dann öffnet sich die Wand, und da steht schon wieder eine, tut es den beiden anderen gleich. "Peer Gynt". Der Name hallt durch den weiten Bühnenraum, in dem nichts anders steht außer vielen Eimern, aus bloßem Zink oder emailliert. Schließlich geht die Wand zur Hinterbühne auf, darin noch einmal eine Tür, ähnlich wie die Schalen der berühmten Zwiebel der Selbstsuche, immer "Peer Gynt", gerufen, beschworen von nun fünf jungen Damen.

Dann kommt er. Der Peer, Edgar Selge. Bringt sich einen Scheinwerfer mit, auf einem Rollgestell, sodass er auf seinem Weg von schräg oben beleuchtet wird. Damit geht er nach vorne bis an die Rampe, während er von hinten in seltsame Klangwolken gehüllt wird. Ein Männerchor singt merkwürdiges, nordisch und auch sakral anmutendes Zeug, komponiert von Christoph Hart. Dann beginnt Selge zu erzählen, mit listiger Schläue, mit viel Lust an der Sprache und am Reim. Selge-Peer erzählt von der Bocksjagd im Gebirge, die er im Augenblick erfindet, und die fünf Damen umgeben ihn mit Ah und Oh, wollen aufgeregt hören, was der Peer noch so alles erfinden kann, wollen hören von Wirtshausschlägereien und lustigen Aufschneidereien.

Der Regisseur Christopher Rüping ist momentan einer der gefragtesten Regisseure seiner Generation. Beim diesjährigen Berliner Theatertreffen war er der jüngste der Eingeladenen - ausgewählt war seine Adaption von "Das Fest". Und dann verkündete Matthias Lilienthal, er werde Rüping von 2016 an zum Hausregisseur an den Münchner Kammerspielen machen. Da war der Hype komplett. Lilienthal lieferte dabei auch eine schöne Begründung für seine Wahl: "Er (also Rüping) benutzt die große Bühne, um mit den Menschen auf ihr zu spielen - und das mit der Verantwortungslosigkeit eines Dreißigjährigen, dem die Welt gehört."

Tatsächlich ist Rüping weniger ein konzeptuell denkender Regisseur, sondern einer, dessen Arbeiten so wirken, als habe er sich mit seinen Schauspielern über Wochen hinweg eingeschlossen und nichts anderes getan als gespielt. Rüping ist kein Diktator, mehr ein Animateur. Und immer lässt er erzählen, ganz nah am Publikum. Das er auch mal darüber abstimmen lässt, wie es weitergehen soll - hier in Stuttgart geht es am Ende um die Frage, ob Peer und seine Solveig zueinander finden oder die Sinnsuche bis ins völlige Nichts weitergeht. Das Ergebnis der Abstimmung ist jedoch so indifferent wie das, was danach auf der Bühne passiert, sieht man von der beeindruckenden Konsistenz von Selges plötzlich aufbrechendem Brüllpathos ab.

Die Plapperei könnte alles meinen - auch weil alle Schauspielerinnen jede Figur sind

Kein Wunder, dass ein so spielerischer Kerl wie Rüping bei "Peer Gynt" landet. Er hat sich das Stück gewünscht. Doch anders als sein auch noch junger, wenngleich schon viel erfahrenerer Kollege David Bösch, der Ibsens dramatisches Gedicht unlängst am Münchner Residenztheater als Märchenstunde der Fantasie inszenierte, nimmt Rüping das Stück vor allem als Anlass für eine Flut von Plappereien, die dann entzücken, wenn sie noch nahe am Stück sind. Die lustigste Erfindung Rüpings: Entführt Peer die Braut Ingrid, dann sucht sich Selge 24 Frauen im Publikum, die er auffordert, mit ihm ins Foyer zu kommen, ins, ganz schwäbisch, Chambre Separele. Den Trollakt spielen die fünf Damen allein, da wird Caroline Junghanns grün angemalt und Svenja Liesau zu einem abenteuerlich bematschten Trollkönig.

Da macht das Spielen noch Freude, doch zunehmend gerinnt es zur Ausrede. Letztlich drückt sich Rüping lang vor dem Text, lässt vor, während und nach der Pause seine Damen Geschichten erzählen, von denen die wenigsten interessant sind. Die Plapperei könnte alles meinen, auch weil alle jede Figur sind, bis auf Nathalie Thiede, die mit der Konsistenz eines wunderschönen Bildnisses meist die Solveig ist.

Doch dann gibt es noch einen berührenden Moment. Peer unterbricht die fabulierende Beliebigkeit, und Selge erzählt, wer er schon alles war. Die Liste der vielen Rollen ist die des Schauspielers Selge, von dessen Rollen, und die Aufzählung wird zu einer Feier des Theaters an sich, zu einer Feier des Spielens, des Erzählens, des Erfindens - zur Essenz von Rüpings Versuchen.

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