Theater:Bulgarien-Unterricht

Theater: Neuer Staat, alte Probleme: Samuel Finzi (l.), Henning Hartmann.

Neuer Staat, alte Probleme: Samuel Finzi (l.), Henning Hartmann.

(Foto: Katrin Ribbe)

Neues Staatssystem, alte Probleme: Ilija Trojanows Rechercheroman "Macht und Widerstand" in Hannover.

Von Till Briegleb

Zwanzig Jahre lang betrieb Ilija Trojanow in Bulgarien Recherchen über den schwierigen Wandel der Gewaltdiktatur in eine vermeintliche Demokratie. Als er seine Erkenntnisse 2015 als "Roman" veröffentlichte, war die Reaktion ziemlich einheitlich: Als Sachbuch ein erschütterndes Dokument mit einer Fülle an Verhörprotokollen und verarbeiteten Interviews mit Opfern der Staatsparanoia, schien "Macht und Widerstand" in seinen erzählenden Passagen dem erdrückenden Material der Fakten nicht gewachsen zu sein. So eine literarische Konstruktion, die Figuren eher als Sammelbiografien für historische Massenschicksale versteht, eignet sich nicht unbedingt für eine Bühnenadaption. Will man das Dokumentarische nicht als frontales Aufsagetheater inszenieren, verlangt das Theater nach glaubhaften Charakteren, die ihre persönliche Geschichte in aller Zerrissenheit erzählen können.

Entsprechend bemühte sich der tschechische Regisseur Dušan David Pařízek, der Trojanows Faktenroman nun in eine dreistündige Stückfassung am Schauspiel Hannover übertragen hat, sehr, Figuren und dialogische Szenen aus der Sachprosa zu entwickeln. Und er verfügt mit Samuel Finzi als Anarchist Konstantin Scheitanow über einen Darsteller, der nicht nur bei anderen zur Abstraktion neigenden Regisseuren brillant bewiesen hat, wie man aus konstruierten Figuren Leben hervorzaubert. Finzi lebte bis zum Zusammenbruch des Ostblocks in Sofia und kennt den Staat als Lager und Gefängnis, wie Trojanow es in "Macht und Widerstand" beschreibt, aus eigener schmerzlicher Erfahrung.

Auf einer üblich karg eingerichteten Pařízek-Bühne mit ein paar Tischen im Hintergrund und einem schräg gestellten Bühnenwürfel an der Rampe entwickeln Finzi und sein Gegenspieler Markus John (als Staatssicherheitsbeamter Metodi Popow) zwei psychologische Grundmuster der Unbeweglichkeit. Der Anarchist, der als junger Mann ein Stalin-Denkmal sprengte und danach sein Leben in Gefängnissen, Irrenanstalten, bei Folter-Verhören oder unter totaler Überwachung verbrachte, verschließt seine Persönlichkeit in diesen Erinnerungen und kämpft kompromisslos um die Rehabilitierung seiner "Wahrheit" gegen nun demokratische Apparate, die aber leider vom selben Personal wie in der Diktatur geführt werden.

Der Machtmensch Popow dagegen, der sich ein stabiles Rechtfertigungsgebäude für die Gewaltmaßnahmen gegen die eigene Bevölkerung erbaut hat, die im Klassenkrieg gegen die Bedrohung des Kapitalismus zwingend notwendig gewesen seien, versucht die Politik der Seilschaften und Angsterzeugung auch in der Demokratie fortzuführen. Diese gegensätzlichen und doch irgendwie verwandten Konstanten eines Unrechtsregimes, die den Systemwandel überstehen und diesen dabei sehr fragwürdig erscheinen lassen, werden in Pařízeks Adaption menschlich gemildert durch die Frauenfiguren (gespielt von Sarah Franke), die mit einer pragmatischen Unerschrockenheit und dem Wunsch nach Zuneigung versuchen, Brücken zu bauen und Wunden zu heilen - dabei aber an der männlichen Sturheit in deren Selbstbeschäftigung scheitern.

Aufgelockert lediglich durch ein paar Clownsnummern Finzis, der eine Furzoperette veranstaltet oder bulgarische Schlager der Siebziger persifliert, verliert dieser Abend trotz der psychologischen Raffinesse der Darsteller leider nicht das Schulmeisterliche. Anders etwa als bei Herta Müller, die ihre Erfahrungen mit der rumänischen Securitate sprachschöpferisch verarbeitet hat, bleibt Trojanows Rekonstruktion der bulgarischen Traumatisierung letztlich Geschichtsunterricht über Strukturen, von denen man an diesem Abend nicht zum ersten Mal hört. Im Respekt vor dem Ernst der Vorlage versagt Pařízek dem Publikum die künstlerische Erfahrung und belässt es bei der Belehrung. Er fordert damit die gleiche gut meinende Kritik heraus, die Trojanows Buch hervorgerufen hat.

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