Theater:Brief an den Vater

Das Wiener Burgtheater wendet sich in seinem Casino Josef Winkler zu, dem ewigen Sohn der deutschsprachigen Literatur. Ein sehr feiner Abend.

Von Wolfgang Kralicek

Nie wird Josef Winkler vergessen, wie sein Vater ihm einmal so heftig ins Gesicht schlug, dass das Blut aus der Nase tropfte. Die Mutter schrie, und der Vater versuchte, mit seinem Taschentuch die Blutung zu stillen. "Mein Vater, das war einer der schönsten Augenblicke meines Lebens", schreibt der Sohn mehr als 50 Jahre später. Im erschrockenen Gesicht des Vaters hatte der Bub zum ersten Mal die Zuneigung entdeckt, nach der er sich so sehnte.

Josef Winkler ist der ewige Sohn der deutschsprachigen Literatur. Seit seinem Debütroman "Menschenkind" (1979) kehrt er immer wieder an die Orte seiner Kindheit zurück, ins wilde Kärnten, auf den elterlichen Bauernhof und in das Dorf Kamering, das er mit seinen Büchern "kaputt geschrieben" habe, wie die Einheimischen ihm vorwarfen. Auch der Text, den das Wiener Burgtheater jetzt in seinem Casino uraufgeführt hat, reiht sich nahtlos in Winklers Lebensprojekt ein. Ein Theaterstück ist "Lass dich heimgeigen, Vater oder Den Tod ins Herz mir schreibe" eigentlich nicht. Der in Ich-Form verfasste Text, ein langer Brief an den Vater, ist vielmehr Fortschreibung und Zusammenfassung seines autobiografischen Schaffens zugleich.

Die Spielstätte im Kasino war ursprünglich ein Ballsaal, und als solcher wird er in Alia Luques sehr feiner Inszenierung auch bespielt. Einziges Requisit ist ein Schwarzweiß-Fernseher, auf dem französische und italienische Schlagersängerinnen aus den Fünfzigern und Sechzigern zu sehen und zu hören sind. Tänzelnd und auf exakt choreografierten Wegen durchmessen fünf Schauspieler den weiten Raum; sie verkörpern verschiedene Facetten des Autors: den müden Alten (Branko Samarovski), die erloschene Drag Queen (Marcus Kiepe), den versponnenen Einzelgänger (Leon Haller), den zornigen jungen Mann (Tino Hillebrand) und den verträumten Knaben (unglaublich gut: Theo Haas), der die Choreografien aus dem Fernseher nachtanzt.

Zu den wiederkehrenden Motiven von Winklers Litanei gehört die Geschichte des Kärntner SS-Bonzen Odilo Globocnik, dessen Leichnam ausgerechnet in jenem Feld verscharrt wurde, auf dem Winklers Vater dann Getreide anbaute. Globocniks Mittäter Ernst Lerch blieb nach dem Krieg weitgehend unbehelligt und betrieb bis in die 70er Jahre das Tanzcafé Lerch in Klagenfurt. Gut möglich, dass dort auch die bittersüßen Chansons von Mireille Mathieu oder Françoise Hardy aufgelegt wurden, die diesen konzentrierten, unsentimental ergreifenden Abend im Kasino begleitet haben.

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