Theater:Anders ist, wer anders angeschaut wird

Das Schloss Volkstheater

Drinnen oder draußen? Pia Greven hat für die Bühne einen drehbaren Kasten entwickelt, der für jede Art von Innenraum stehen kann und manchmal auch zum rasenden Karussell wird.

(Foto: Arno Declair)

Nicolas Charaux inszeniert Franz Kafkas Roman "Das Schloss" am Volkstheater. Den französischen Regisseur interessiert vor allem die Stellung des Einzelnen gegenüber einer Gruppe

Von Christiane Lutz

Kafka hört sich gut an. Grundsätzlich natürlich, aber besonders in der neuen Inszenierung von "Das Schloss" von Nicolas Charaux am Volkstheater, wenn seine Worte von acht wunderbaren Schauspielern gesprochen werden. Gehörter Kafka versteht sich besser. So weit man Kafka überhaupt verstehen kann, schließlich bleibt man bei der Beschäftigung mit seinen Texten stets ein von einem eventuellen Sinn Ausgeschlossener. Wie die Hauptfigur K., die als Landvermesser in ein Dorf kommt und auf ein undurchschaubares Behördensystem trifft, regiert von einem mysteriösen Schloss. "Wer hier wohnt oder übernachtet, wohnt oder übernachtet gewissermaßen auch im Schloss", raunen die Dorfbewohner. Ausgeschlossen ist zunächst auch der Zuschauer im Volkstheater, er sitzt vor einer grauen Wand, aus deren Mitte sich eine Drehbühne herauslösen lässt, die jedes erdenkliche Drinnen sein kann. Diese Drehbühne, ein Kasten mit Fliegengittern und Fenstern versehen, schieben die Schauspieler selbst an bis zur Höchstgeschwindigkeit, wie ein Karussell, bis keiner mehr weiß, wo vorn und hinten ist.

Der französische Regisseur Nicolas Charaux hat gemeinsam mit seinem Dramaturgen Nikolai Ulbricht eine klug gekürzte, geradezu leichte Bühnenversion von Kafkas 1922 geschriebenem und 1926 posthum erschienenen Roman erstellt. K. ist hier einer, der zwar Antworten sucht, aber er ist auch einer, der nie die Nerven verliert oder wirklich aufbegehrt. Seine Befindlichkeiten stehen nicht im Vordergrund. Charaux interessiert vor allem die Stellung des Einzelnen gegenüber einer Gruppe. K. wird abwechselnd von jedem der Schauspieler gespielt. K. ist immer der, der gerade ausgeschlossen ist. Anders ist, wer anders angeschaut wird. Alle Figuren sehen dabei gleich aus: Sie tragen graue Overalls unter langen, braunen Pelzmänteln, die Hände bandagiert. Dazu kalkweiß geschminkte Gesichter und dunkel umrandete Augen. Sie sind eine Art Zombie-Erdmännchen, nervöse Kreaturen zwischen Leben und Tod, scheinbar ohne eigenen Willen, gackernd und kichernd. Immer wieder lösen sich einzelne aus dem felligen Knäuel heraus, werden für eine Szene zum beäugten Außenseiter und verschwinden wieder in der Masse. K.s größtes Rätsel ist somit immer auch er selbst.

Diese perfekt choreografierte Wechselspiel dominiert Charaux' Inszenierung und in ihm liegt auch ihre große Sogwirkung. Einzelne Schauspieler herauszuheben ist so unmöglich wie unnötig, Kostüme und Maske zielen ohnehin darauf ab, vergessen zu lassen, dass da acht Individuen auf der Bühne stehen. Dennoch präsentieren die Schauspieler ein kurioses Sammelsurium an Dorfcharakteren, alle irgendwo zwischen naiv, wunderlich und völlig irre angesiedelt. Die Figuren imitieren dabei bestenfalls das Menschsein, imitieren Sprechakte oder das, was sie dafür halten und scheitern grandios. Nun sei doch einer herausgehoben, Silas Breiding nämlich, der als hyperventilierender Vorsteher über den Behördenapparat referiert, bis er förmlich überschnappt. In Momenten wie diesen - von denen gibt es einige - ist der Abend sehr komisch, auch wenn die kafkaeske Grundbeklemmung nie weicht, nie weichen soll.

Kafka kann und muss man nicht auf Teufel komm raus deuten, er funktioniert über die Wirkung seiner Sprache. Charaux und seine Schauspieler wissen das. So wird der Abend zu einer großartigen Ensembleleistung.

Das Schloss, nächste Vorstellung Montag, 30. Januar, 19.30 Uhr, Volkstheater, Brienner Straße 50

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