Theater:Der Kulturkampf um die Volksbühne tobt jetzt auch im Internet

Das Räuberrad eine Radskulptur aus Metall des Designers Rainer Haußmann aufgestellt 1994 vor dem T

Nicht nur analog, auch digital tobt mittlerweile der Streit um die Berliner Volksbühne

(Foto: Volker Hohlfeld/imago)

Kaum hat das Team des neuen Intendanten Chris Dercon die Social-Media-Accounts des Theaters übernommen, löst es einen Shitstorm aus.

Von Christine Dössel

Zum 1. August haben Chris Dercon und sein Leitungsteam die Social-Media-Kanäle der Berliner Volksbühne übernommen, also deren Facebook-, Instagram- und Twitter-Accounts, inklusive aller alten Inhalte, Likes und Follower. Sie dürfen das, das ist bei Intendantenwechseln keine unübliche Praxis. Schließlich übernehmen sie nun ja das ganze Theater, führen es nach der legendären, 25 Jahre währenden Ära von Frank Castorf in eine neue Zeit. Dafür haben sie den Namen der "Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz" geändert: in das international besser versteh- und verwertbare Label "Volksbühne Berlin". Als solche firmiert das Haus nun auch auf Facebook, ein schwarzer Schriftzug auf signalrotem Grund. Das Titelbild der Seite ist eine rote Fläche, ein Farbvideo. Klickt man drauf, changiert die Farbe vom Karminroten über das Rosarote ins Orangerote.

Vor diesem farbpsychologisch beruhigenden, noch nicht weiter mit Inhalt gefüllten Wohlfühlhintergrund geht seit Tagen die Post ab, besser gesagt: das Hass-Posting. All die Dercon-Gegner, die in dem belgischen Museumsmann eine Theaternullnummer und in seiner Intendanz eine feindliche Übernahme sehen, kriegen sich vor Fassungslosigkeit, Wut und Häme nicht mehr ein. Was einerseits auf der Hand liegt, wenn ein umstrittener Kandidat wie Dercon bei so einem radikalen Cut nicht seine eigenen Social-Media-Seiten aufmacht, sondern "in einem Akt von Markenpiraterie bruchlos den Facebook- und Instagram-Account der Volksbühne kapert", wie etwa der Regisseur Jürgen Kuttner, Held vieler Volksbühnen-Videoschnipsel-Abende, das kommentiert. Andererseits sind die nun abgelassenen Shitstorm-Böen und Hassladungen - und der krawallige Unterhaltungswert, den so etwas ja leider auch immer hat - ausgesprochen unwürdig und im kulturellen Umfeld eines Theaters unangebracht.

Viele User entfreunden sich: "Ihr kotzt mich wirklich an, ich bin raus!"

"Ihr seid nicht die Volksbühne, ihr nennt euch nur so!" ist der Tenor der noch milderen Kommentare. Wütende User entfreunden sich: "Ihr kotzt mich wirklich an, ich bin raus." Dass die Menge schäumt, liegt nicht nur an der - schlecht kommunizierten - Übernahme der alten Volksbühnen-Accounts. Es ist vor allem die erste Mitteilung des Dercon-Teams, die den Shitstorm auslöste. Da steht auf Facebook vor lachsroter Fläche: "Die Sinne schärfen. Sich ins Detail versenken. Das Gesamte vom kleinsten Teil denken. Lauschen. Flüstern. Klein werden. Raus aus dem Totalzusammenhang. Kommt zusammen!"

Wer, außer PR-Agenten für Yogakurse und Achtsamkeitsseminare, denkt sich so ein Geschwurbel aus? "Ist das dann auch glutenfrei?", fragt eine Kommentatorin höhnisch. Andere spotten: "Ach du liebes bisschen: der neue ,spirit'?" "Wow. Der ultimative hyperbanale Kulturindustrie-Programm-Bullshit-Generator!" Oder einfach nur: "Hurrrrrrz!" Gegen die Dercon-Feinde wiederum nehmen die Unterstützer Stellung, etwa der Dramatiker Konstantin Küspert, der allen Hassern ins Gesichtsbuch schreibt: "Ihr seid furchtbar, ihr hämischen, kleingeistigen, selbstgerechten, vermeintlich Mehrheitsmeinung vertretenden, hassenden, unerträglich konservativen und sich selbst dabei für progressiv, kritisch, fair und kreativ haltenden Theaterwutbürger..."

So tobt er trotz geschaffener Fakten weiter, der Kulturkampf um die Volksbühne, wie er seit Dercons Berufung durch den damaligen Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner ausgebrochen ist. Auf der Plattform change.org läuft seit Wochen eine Petition, die fordert: "Zukunft der Volksbühne neu verhandeln". Kultursenator Klaus Lederer und der Regierende Bürgermeister Michael Müller werden darin aufgefordert, die Volksbühne als Ensemble- und Repertoiretheater zu erhalten und die Diskussion um die Zukunft des Hauses neu zu führen. Bis jetzt gibt es mehr als 33 000 Unterschriften, darunter die von Kulturpersönlichkeiten wie Navid Kermani, Boris Groys und Diedrich Diederichsen. Ignorieren lässt sich das nicht. Der Hass auch nicht. Was für eine traurige, verfahrene Situation.

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