Theater:Abschiebebühne

Angst essen Seele auf

Ahmad Shakib Pouya und Lucca Züchner in "Angst essen Seele auf".

(Foto: Schauburg)

Ein afghanischer Flüchtling tritt in München im Theater Schauburg auf und spielt in Fassbinders "Angst essen Seele auf" mit - seine eigene Zukunft ist jedoch unsicher.

Von Sonja Zekri

Ahmad Pouya wird noch fünfmal auf der Bühne stehen, und keiner weiß, ob er dann nach Afghanistan abgeschoben wird. Seit Samstag aber ist klar, was er kann. In der Premiere von Rainer Werner Fassbinders Stück "Angst essen Seele"im Münchner Jugendtheater Schauburg spielt Pouya den "Gastarbeiter" Ali mit grundsympathischer Knuddeligkeit bei mildem Unmut über das Böse. Eine Idealbesetzung.

Wenn die Inszenierung des Schauburg-Intendanten George Podt begeistert gefeiert wurde, schwang darin also auch der Triumph über die Flüchtlingspolitik mit. Pouya, geboren im afghanischen Herat, hatte jahrelang in Deutschland gelebt, ehe er ausreisen musste. Sein Fall hatte einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, für das Schauburg-Engagement durfte er schließlich zurück nach Deutschland. Doch sein Visum gilt nur so lange, wie sein Vertrag läuft. Folgen keine weiteren Aufträge, wird er abgeschoben. Auch wenn man es ihm auf und hinter der Bühne nicht anmerkt: Er spielt - buchstäblich - um sein Leben.

Der Text selbst, von Fassbinder 1974 ver-filmt, ist unübersehbar in die Jahre gekom-men. Die Geschichte der unmöglichen Liebe zwischen der alten Putzfrau Emmi (Ilona Grandke) und dem "Gastarbeiter" Ali (Pouya) führt hinab in den Urgrund bundesrepublikanischer Fremdenfeindlichkeit - und die Münchner Inszenierung lässt sie dort schmoren, mit D-Mark, Besuchen des "Herrn Wachtmeisters" und dem Kampf der Tante-Emma-Läden gegen die ersten Supermärkte. Bei Fassbinder ist Ali ein Marokkaner, bei Podt naheliegenderweise ein Afghane, der deutlich schlechter Deutsch spricht als Pouya selbst. In den schönsten Szenen spielt Pouya, der auch Musiker ist, Harmonium oder singt mit seiner überaus keusch geliebten Emmi "Those Were The Days" von Mary Hopkins, jeder in seiner Sprache.

Insgesamt aber ist dieser Ali so ritterlich, reinlich und weise, wie es Ausländer früher in filmischen oder dramaturgischen Toleranzplädoyers sein mussten. Und die Ablehnung, die ihm entgegenschlägt, klingt mehr nach der "Rasseschande"-Hetze der Nazis als nach der rhetorisch aufgebrezelten Menschenverachtung der Identitären. So bleibt das Stück bei jener einst kühnen, inzwischen aber etwas steifen Parabelhaftigkeit. Heutige Jugendliche, die womöglich nicht mal mehr den Begriff Gastarbeiter kennen, können in der Schauburg lernen, dass die Fremdenfeinde dieser Tage nicht vom Himmel gefallen sind. Interessant und hochaktuell dürfte es werden, wenn sich der eine oder andere junge Afghane oder Marokkaner zu Wort meldet.

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