"The White Stripes":Anständig durchgeknallt

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Audio-Askese: Echter denn je präsentieren sich die "White Stripes" mit ihrem neuen Album "Icky Thumb". Kindliches Schlagzeugspiel, Vollgas auf's Fußpedal - und ein Maximum der Effekte.

Tobias Moorstedt

Jack White hat nie ein Manifest geschrieben. 1,2,3,4 - Präambel - Elementarkritik der Zustände - Formel für das erfolgreiche Update unserer Zeit. Er sagt einfach nur: "Wir leben in einer verwirrten und verwirrenden Welt." Alles, was diese Welt braucht, ist ein bisschen mehr Einfachheit und Würde. Und, verdammt noch mal, Jack White wird ihr genau das geben. "Icky Thumb", das neue Album seiner Band The White Stripes, ist keine Revolution, und erreicht doch Momente echter und neuer Größe.

(Foto: Foto: ddp)

White folgt dabei noch immer den unausgesprochenen Werten und Naturgesetzen, die er seinem Privatuniversum gegeben hat: Noch immer fehlt ein Bassist, die Farb- und Zahlen-Mystik, das rot-weiß-schwarze Grafikdesign durchdringen Booklet und CD. Auf dem Cover sind Jack und seine Ex-Frau Meg in fiktiven Südstaaten-Uniformen zu sehen, auf dem Schwarz-Weiß-Foto prangt knallrot ein Siegel: Wie eine Zigarettenpackung aus dem amerikanischen Süden sieht das Produkt aus. Werbung für würzigen Tabak aus Tennessee, scharf, voll, nichts für Memmen. Eben: The Real Thing.

Wer sich jetzt fragt, was das Artwork mit dem Kunstwerk zu tun hat habe, ist bei Jack White an den Richtigen geraten. Der 39-jährige Detroiter versteht sich als Gaukler alter Schule. Die Instrumente der Illusion, Masken, Rauch und Spiegel, sind für ihn elementarer Bestandteil jeder Kunst. Oasis-Bandleader Noel Gallagher meinte einmal, die White Stripes sollten sich gefälligst einen Bassisten suchen, so klinge ihre Musik "einfach scheiße".The White Stripes haben Gallaghers Rat erneut missachtet, sind geradezu die Antithese zu Oasis, die sich und ihrem Publikum mit einem musikalischen Flächenbombardement, 25 Gitarrenspuren und Synthesizern, beweisen wollen, dass sie noch am Leben sind.

Lebendige Lichtgestalten

White Stripes, das ist musikalisches Dogma und Audio-Askese. Gitarre, Schlagzeug, Stimme, Melodie, Rhythmus, Geschichte. Genau wie Lars von Trier erreicht auch Jack White durch die Reduzierung der Mittel ein Maximum an Effekt. Aus der totalen Verdichtung dieses Punk-Blues entsteht explosionsartig eine manische Energie: ein simples, unbeholfen-rohes Schlagzeug, Donner aus der Bass-Trommel, eine Stimme, die säuselt, kreischt und manchmal beruhigend vibriert, und die man niemals ignorieren kann. Und dann ist da natürlich noch die Gitarre.

Anders als beim Vorgänger-Album "Get behind me Satan", bei dem die White Stripes im Lied-Hintergrund mit Pianostyles, Marimbas und anderen Gaukeleien experimentierten, verlässt sich White diesmal auf seinen virtuosen Gebrauch des Fußpedals. Eine wahre Batterie an Effektgeräten und Verzerrern muss er auf dem Studio-Boden aufgebaut haben, um die Saitenvibration auf ihrem Weg über Klangabnehmer und Kabel in derartige Töne zu verwandeln. Bei den White Stripes ist der Verzerrer nicht nur das Audiosymbol (Earcon) für Wut, Gewalt und Negation, sondern ein Meta-Instrument. Die Gitarre klingt wie eine Orgel, wie eine böse Harfe, ein Bohrer oder Synthesizer, ätzende und süße Töne, oder, wie John Peel mal gesagt hat, "anständig durchgeknallt".

Seite 2: In drei Schritten zum Blues und die Kern-Ideologie des Rock'n'roll.

Jack White ist eine der wenigen lebendigen Lichtgestalten des Indie-Rocks. Die White Stripes haben Millionen von Platten verkauft und mit "7th Nation Army" einen Welthit geschrieben. Auch für sein Zweitprojekt "The Raconteurs" hat er einen Nummer-Eins-Hit geschrieben. Seine Frau ist ein Gucci-Modell und in einem Film soll er bald die Rolle von Elvis übernehmen. In einem Interview meinte er vor kurzem verwundert: "Die Einrichtungen, die wir eigentlich bekämpfen, haben sich auf uns gestürzt."

Auf Sperrmülltour

Die White Stripes sind mit ihrem sechsten Album größer denn je. Im Juli spielen sie im Madison Square Garden, erstmals wird das Album von einem Major-Label vertrieben. Prompt schickte der Musikmulti einem Musikblog, der ein MP3 der Single ins Netz gestellt hatte, eine Verwarnung zu. Ein Nutzer der Webseite meint: "Was sagt es über die White Stripes aus, dass sie sich mit einem so rüden Major-Label einlassen?" Es ist die alte Frage der Fans, die ihre auf Überlebensgröße aufgeblasenen Helden ansehen, vorsichtig mit der Hand berühren und sagen, seid ihr noch, ihr wisst schon, echt?

Die ökonomische Organisation des Zwei-Mann-Konzerns The White Stripes und sein musikalischer Output sind zum Glück komplett voneinander getrennte Systeme. Es ist nicht die kleine Underground-Tour, die sie in diesem Sommer in Nord-Alaska unternehmen, "wo uns niemand kennt", die die Authentizität der Band sichert, sondern die hyperdynamische Konstanz ihres Stils. Jack und Meg, man hätte es seit ihrem Gastspiel in Jarmuschs Film "Coffee and Cigarettes" wissen können, sind wunderbare Schauspieler.

Das Stück "Rags and Bones" ist ein kleines Hörspiel: zwei Lumpensammler, die durch ein reiches Viertel im amerikanischen Süden ziehen und Sperrmüll fordern: "Come on, give it to me" - man sieht die beiden fast da stehen, Jack White, ein Mann des Nordens, intoniert täuschend echt den Südstaaten-Akzent, Meg schlägt mit einem Stück Eisen gegen den Gartenzaun, ein Singsang über Armut und die Behauptung des Selbst unter diesen Bedingungen, das in einem punkigen Crescendo endet. Jack White löst so das ewige Dilemma des Rockstars, der mit dem System, das er angreift, verschmolzen ist, und nimmt als Schauspieler die Außenperspektive ein. Er bewahrt sich die Unschuld, weil es nicht um ihn selbst geht, sondern um das Stück, das er gerade aufführt.

Dieses sinnlose Da-Sein

Als Kurt Cobain auf dem legendären MTV-Unplugged-Konzert als letzten Song "Where did you sleep last night" sang, bezog sich der Gott des Grunge ausgerechnet aus Leadbelly, einen Bluesman aus den vierziger Jahren. "My girl, my girl, dont' lie to me", sang Cobain, und legte so für einen Moment die Wurzel der stilisierten Verzweiflung der Generation X frei, die, wie bei jeder anderen amerikanischen Kulturtechnik auch, im Delta-Blues liegt.

Der Ursprung der Rock-Musik ist das Räsonieren über die absurde Absenz von Gerechtigkeit und Sinn. Im Laufe der Zeit hat sich darüber ein Berg aus Seelen-Müll gelegt, ritualisierte Riots auf dem G-8-Gipfel und das selbstverliebte Leiden der Indie-Stars. Genau wie Cobain ist auch Jack White als Blues Crooner am meisten bei sich selbst.

Craig Werner hat in seinem Buch "A Change is Gonna" mal die drei Schritte des Blues skizziert. Erstens: Dringe zum Kern der Dinge vor, die das Leben verderben. Zweitens: Finde den richtigen Tonfall für dieses sinnlose Da-Sein. Und drittens: Vergewissere dich deiner Selbst, ganz allein, ohne diesen apathischen Gott da oben. Das ist die Kern-Ideologie des Rock'n'roll - "Just be yourself" -, die heute freilich nicht mehr als ein Werbeslogan ist. Be yourself - Jack White, das ist das große Wunder, ist ein Mann, dem man diese Worte glaubt.

© SZ vom 18.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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