"The Salesman" im Kino:Man könnte diesen Film als Kommentar zur Weltpolitik verstehen

"The Salesman" im Kino: Aus der Kunst nichts fürs Leben gelernt: Emad und Rana.

Aus der Kunst nichts fürs Leben gelernt: Emad und Rana.

(Foto: AP)

Mit "The Salesman" ist dem Iraner Ashgar Farhadi ein Film über die Mechanismen des Patriarchats gelungen. Zu den Oscars wird der Regisseur aber nicht reisen - aus Protest gegen Trump.

Filmkritik von Susan Vahabzadeh

Brachiale Gewalt erzeugt Risse, die nicht mehr zu kitten sind. Neben dem Haus, in dem Emad (Shahab Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti) in Teheran wohnen, wird gebaut, unvorsichtig und rücksichtslos. Asghar Farhadis Film "The Salesman" beginnt damit, dass Emad aus dem Schlaf gerissen wird, Nachbarn hämmern an die Tür, alle müssen ins Freie, das Haus droht einzustürzen. Es kommt dann niemand zu Schaden in dieser Nacht, alle werden rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Aber das Haus ist nun nicht mehr bewohnbar. Ein metaphorischer Einstieg, der im Grunde im Zeitraffer vorwegnimmt, was der Ehe von Emad und Rana widerfährt, die ein glückliches Paar waren bis zu dieser Nacht.

Erst einmal scheinen sie Glück im Unglück zu haben. Beide sind Schauspieler, er führt auch Regie, tagsüber hat er einen Job als Lehrer, aber abends proben sie am Theater - Arthur Millers "Death of a Salesman / Tod eines Handlungsreisenden". Emad spielt die Titelfigur Willy Loman, Rana dessen Frau. Ein Freund, der auch im Theater dabei ist, bietet ihnen eine leer stehende Wohnung an, Rana und Emad sind begeistert und dankbar. Es wäre schwierig geworden, auf die Schnelle eine neue Bleibe in Teheran zu finden, und so müssen sie nicht wochenlang bei anderen Leuten auf der Couch übernachten.

Eigentlich könnte "The Salesman" überall auf der Welt spielen

Der Einzug geht schnell, noch vor der Generalprobe bringen Emad und Rana mit ein paar Freunden ihre Möbel in die neue Wohnung. Sie ist ein bisschen schäbig, nicht so groß wie die alte, und ein Zimmer ist verschlossen. Darin stehen die Habseligkeiten der Vormieterin. Kleider, Möbel, ein Kinderrad. Es ist, als würde diese Fremde einen Schatten werfen auf die neue Behausung. Aber die beiden haben zu viel zu tun, um darüber nachzudenken. Es steht noch ein Gespräch mit der Zensurbehörde aus.

Kann man "Tod eines Handlungsreisenden" in Teheran auf die Bühne bringen? Nur mit Kompromissbereitschaft. Für Kompromisse ist Emad der richtige Typ - als ihn eine Frau im Taxi beschuldigt, sie angefasst zu haben, bleibt er ganz gelassen, obwohl er ihr nun wirklich nicht zu nahe gekommen ist. Und im Stück gibt es eben auch ein paar kompromissbereite Merkwürdigkeiten, beispielsweise jene Szene, in der der Handlungsreisende Willy Loman von seinem Sohn Biff in einem Hotelzimmer erwischt wird mit einer Frau im Bad. Hier kommt diese Frau im roten Regenmantel aus dem Badezimmer, was für Heiterkeit im Ensemble sorgt, die Zensurbehörde aber milde stimmen soll. Doch dann wird Rana, allein in der neuen Wohnung, überfallen. Und nun ist es um Emads Coolness geschehen.

Es hat eigentlich fast so ausgesehen, als ob Asghar Farhadis neuer Film weniger politische Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde als die vorangegangenen, weil es hier eigentlich nur am Rande um Dinge geht, die spezifisch Iran betreffen. Eigentlich könnte "The Salesman" überall auf der Welt spielen, in manchen Gegenden eben nur mit Kopftuch. Die Tabuisierung sexueller Übergriffe, die Angst der Opfer, Strafe zu verlangen - es gibt nun wirklich kein Land auf der Erde, das diese Problematik gelöst hätte.

Die aktuelle Politik hat Farhadi aber inzwischen eingeholt. Er hat für seinen vorletzten Film "Nader und Simin - eine Trennung" den Goldenen Bären der Berlinale bekommen und dann, 2012, den Oscar für den besten ausländischen Film. In der vergangenen Woche wurde auch "The Salesman" wieder für den Oscar nominiert. Die Hauptdarstellerin, Taraneh Alidoosti, hat gleich angekündigt, dass sie nicht zur Verleihung am 26. Februar in Los Angeles kommen werde, weil Donald Trump da schon härtere Visa-Bestimmungen angekündigt hatte für iranische Staatsbürger. Nun könnte sie gar nicht mehr kommen, Iran steht auf der Liste der sieben Länder, deren Bürger seit Freitag nicht mehr in die USA einreisen dürfen. Die Academy zeigte sich am Samstag in einem Statement "beunruhigt" angesichts der Möglichkeit, dass einem Nominierten aufgrund seiner Nationalität die Einreise verweigert werden könnte.

"The Salesman" ist Ehedrama, Thriller, Stück im Stück

Weitere Aktionen sind wohl nicht nötig. Farhadi hat seinerseits inzwischen mitgeteilt, er lehne jede Sonderregelung für sich ab und verzichte darauf, an der Oscar-Verleihung teilzunehmen. Dass das alles nun mit "Der Tod eines Handlungsreisenden" zu tun hat, ist schon wundervoll absurd. Farhadis Film bezieht sich immer wieder auf Arthur Millers Theaterstück, 1949 geschrieben; und darin geht es nicht zuletzt darum, dass der amerikanische Traum eine Illusion bleibt.

In "The Salesman" ist dann vor allem die mysteriöse Vormieterin nicht greifbar, deren Lebenswandel vielleicht auf der Wohnung lastet wie ein Fluch. Dauernd hatte sie Männerbesuche, sagen die Nachbarn. Emad bekommt aus der verstörten, verletzten Rana nicht so recht heraus, was passiert ist. Auch der Film schafft da zunächst eine Leerstelle. Auf ein Klingeln hat sie die Wohnungstür geöffnet und ist ins Badezimmer gegangen in dem Glauben, ihr Mann komme endlich nach Hause. Es muss dann aber ein Fremder in die Wohnung gekommen sein und schließlich ins Bad - ein furchtbarer Schock für Rana, sie hat sich an der zerbrochenen Glastür der Dusche verletzt. Mehr sagt sie nicht. Und sie weigert sich, zur Polizei zu gehen und den Eindringling anzuzeigen.

Ist Rana überfallen worden?

Emad aber findet nun Socken des Übeltäters in der Wohnung, sein Handy, seine Autoschlüssel. Der Lieferwagen, zu dem letztere gehören, parkt immer noch vor dem Haus, irgendwann ist er dann weg. Emad aber lässt nicht locker, er entwickelt Theorien. War die Mieterin, deren Sachen noch in der Wohnung waren, eine Prostituierte? Ist Rana von einem von deren früheren Kunden überfallen worden? Oder hat sie den Eindringlich gar geschickt, um sich dafür zu rächen, dass das Paar ihre restlichen Möbel auf die Terrasse geschafft hat, wo ihr Hab und Gut dann Sturm und Regen ausgesetzt war?

Emad wird jedenfalls immer aggressiver, gegen jeden, in manchen Augenblicken sogar gegen Rana, die nicht mehr allein bleiben mag, die unbedingt auftreten will und dann auf der Bühne in Tränen ausbricht, die nicht weiß, wohin mit sich, und sich doch nicht helfen lässt. Asghar Farhadi dreht perfekte Filme, spielt mit Genres - "The Salesman" ist Ehedrama, Thriller, Stück im Stück. Und er ist meisterlich darin, Beziehungen in nur wenigen Szenen zu analysieren, mit scheinbaren Details Figuren auf den Punkt zu bringen. Emad entscheidet in dieser Ehe, er sorgt dafür, dass Rana in der ersten Szene rechtzeitig das Haus verlässt, jetzt will er den Täter finden. Aber ihre Unselbständigkeit nach dem Überfall nervt ihn. Farhadi hat ein ziemlich komplexes Geflecht von Mechanismen des Patriarchats aus dem "Salesman" gemacht, er hat hilflose Frauenfiguren geschaffen und Männer, die sich in der Welt bewegen, als ob sie ihnen gehörte, mit der Verantwortung für ihr Handeln dann aber überfordert sind, nicht merken, wenn etwas nicht wiedergutzumachen ist.

Wäre dieser Film nicht schon seit dem Frühjahr 2016 fertig, man könnte fast meinen, er sei auch ein Kommentar zum aktuellen Verhalten einiger Männer in der Weltpolitik.

Es ist auf den ersten Blick gar nicht so klar, was dieses Stück nun zu tun haben soll mit dem Paar im Film - sie haben ihr Leben noch vor sich, und sie sind in dem Umfeld, in dem sie leben, keineswegs die Verlierer. Man bringt ihnen als Intellektuellen Respekt entgegen. Farhadi aber knüpft eine andere Verbindung - es geht darum, dass die Auseinandersetzung mit der Kunst Emad nichts gelehrt hat über das Leben. Er wird einem gescheiterten, armseligen Loman aus Fleisch und Blut begegnen - und es nicht einmal begreifen. Und Ranas Blick wird von einem Riss in ihren Gefühlen künden, der irreparabel ist.

Forushande, Iran/Frankreich 2016 - Buch und Regie: Asghar Farhadi. Kamera: Hossein Jafarian. Mit: Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti, Babak Karimi. Prokino, 125 Minuten.

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