"The Place beyond the Pines" in der SZ-Cinemathek:Auf dem Rummelplatz des Lebens

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Nur Samstagnacht in der Provinz: Romina (Eva Mendes) und Luke (Ryan Gosling). (Foto: Studiocanal)

Stoff für einen großen Roman: Derek Cianfrances Film "The Place Beyond the Pines" beginnt wie ein kleiner Biker-Film - und wächst sich dann aus zu einem Epos über Männlichkeit, Schuld und zerplatzte Hoffnungen.

Von Susan Vahabzadeh

Man kann immer nur bis zu den Bäumen sehen, dahinter liegt das Traumland, ein unsichtbarer Ort der Hoffnung. Dorthin sehnt sich Luke, den Ryan Gosling am Anfang von "The Place Beyond the Pines" spielt wie einen ziellosen Reisenden.

Es sieht dann so aus, als sei er plötzlich doch irgendwo angekommen. Luke kann Motorradfahren wie sonst keiner, diese Fähigkeit verkauft er auf dem Rummelplatz, beim fahrenden Volk. Ein Typ, auf den die Mädchen auf dem Rummel stehen, tätowiert, breitschultrig, ein ganzer Kerl, mit dem unschuldigen Blick eines Kindes.

Nun erfährt er in Schenectady, New York, dass er auf der letzten Durchreise ein Mädchen geschwängert hat. Als er sie wiedersieht, einen Blick wirft auf seinen kleinen Sohn - da ist das plötzlich alles, was er immer wollte: sesshaft werden, für Romina (Eva Mendes) und das Baby sorgen. Als würde sich die Vorstellung von Männlichkeit schlagartig in ihm wandeln. Er weiß nur nicht, wie er's anstellen soll.

Luke trifft in Schenectady auf sein Schicksal, anders als er es sich dachte. Als er durch die Wälder rast mit seinem Motorrad, begegnet er einer verwandten Seele, die Blicke treffen sich, und so kommt es, dass Luke bald bei Robin (Ben Mendelsohn) arbeitet, in einer ärmlichen, heruntergekommenen Autowerkstatt.

Robin bietet ihm auch an, in seinem Trailer zu wohnen. Und weist einen Ausweg, er weiß, was man anfangen könnte mit einem Talent wie dem von Luke: Banken ausrauben, auf dem Motorrad davonrasen, auf die Ladefläche eines Lastwagens, der den Täter verschluckt und aus dem Sichtfeld schafft.

Hineingezogen ins innere der Kugel

Ein wenig kommt es einem am Anfang vor, als habe Derek Cianfrance ein paar der Ingredienzien, die seine melancholische Indie-Romanze "Blue Valentine" so besonders machten, mit Ryan Goslings Auftritt in "Drive" vermengt und ihn statt hinters Lenkrad auf ein Motorrad gesetzt - auch dort wollte er sich in eine Vaterrolle hineindrängen mit dem Geld aus Überfällen.

Es ist dann aber so, dass Cianfrance den Jahrmarktauftritten am Ende Einstellungen abgewinnt, die die Fluchtwagen-Stunts in "Drive" ziemlich dilettantisch aussehen lassen. Man sieht Luke in einer Kugel aus Metallgeflecht, drin rasen drei Motorradfahrer umher, mit einer solchen Geschwindigkeit, dass es nicht zu fassen ist, wie sie immer in letzter Zehntelsekunde aneinander vorüberrauschen.

Das ist eine atemberaubende Sequenz - es heißt, der Kameramann Andrij Parekh, der auch schon Derek Cianfrances "Blue Valentine" gefilmt hat, habe aus Angst vor dieser Szene abgesagt - und Sean Bobbitt, der stattdessen die Kamera übernahm (er hat vorher für Steve McQueen stilsicher "Hunger" und "Shame" gefilmt), sei beim Dreh von einem vorüberrauschenden Motorrad so hart am Kopf getroffen worden, dass er bewusstlos wurde. Wie auch immer: Es zieht einen, schwindelerregend, hinein ins Innere der Kugel, die Bikes zischen einem an der Nasenspitze vorbei.

Cianfrances "The Place Beyond the Pines" entwickelt eine andere Form von Tiefe, als "Drive" sie hatte, verortet die Geschichte in einer Gesellschaft, macht viel mehr aus der Figur - was zunächst aussieht wie ein kleiner, ambitioniert gefilmter Biker-Film, wächst sich aus zu einem Zweieinhalb-Stunden-Epos über Zeit und Schuld und Männlichkeit und über die Chancenlosigkeit an den Rändern der Gesellschaft.

Es ist, vielleicht weil es voll ist von diesen Bildern vom Hinterland, eine uramerikanische Geschichte, Luke ist ein verlorener Gatsby der Provinz, ein Verlierer, der einen Moment der Größe sich erobert für sein Mädchen, bis ihn die eine Wirklichkeit wieder einholt, in der er ein Ausgestoßener bleibt.

Er bleibt es vor allem für Romina - die liebt ihn vielleicht, aber ihr ist auch klar, dass er das Ende ihres Kleinbürgertraums wäre. Sie hat einen anderen Mann kennengelernt, Kofi, der einen Job hat, in dessen Häuschen ist sie mit ihrer Mutter gezogen. Die Alternative, die ihr Luke bietet, ist eine schöne Seifenblase.

Und dann erst tritt Cianfrance zurück und gibt seinem Tableau noch viel mehr Perspektive - Bradley Cooper kommt als Avery, ein Mann voller Ideale, die er alle verraten wird, um ein Gewinner zu sein; und er wird für die Ewigkeit nicht loskommen von einem Augenblick, der gleichermaßen die Lebenswege zweier kleiner Kinder neu orientiert: Sie beide verlieren in diesem Moment, auf unterschiedliche Weise, die Liebe ihrer Väter.

Das ist Stoff für einen großen Roman. Und Cianfrance, der das Drehbuch mit zwei Co-Autoren verfasst hat, hat eine ganze Reihe von bewegenden Szenen gefunden, bei denen man sich fragt, warum nicht längst jemand auf sie gekommen ist. Wenn der erste Überfall vorüber ist, beispielsweise, und Luke hinten im Truck kapiert, dass er davongekommen ist - die Anspannung löst sich, und er übergibt sich auf die Ladefläche.

Einmal undurchdringlich, dann wieder klar

Was Cianfrance da geschaffen hat, ist nicht vollkommen, es ist manchmal zu lang, und im dritten Akt holt er so weit aus, dass es theatralisch wirkt; aber das sind die einzigen Makel von "The Place Beyond the Pine", er ist andererseits so überraschend, jenseits aller Genres konstruiert, hat Figuren, die für Etikettierungen viel zu nuanciert sind, nicht schuldig oder unschuldig, ist undurchdringlich und dann wieder klar - wie das Leben.

Der Ort jenseits der Pinien, das bedeutet Schenectady in der Sprache der Indianer, die das Land bewohnten, als die Provinz des Staates New York noch unberührte Natur war.

Die Werkstatt von Robin, ein baufälliges Holzhaus im Grünen, mit dem Wohnwagen auf dem verwilderten Grundstück, das Haus von Romina, hier kann man sehen, dass sich Armut nicht verändert. Der Film führt uns noch einmal hierher zurück - bis dahin wird man gemerkt haben, wie weit zurück Lukes Ankunft in Schenectady liegt.

Die Zeit steht hier still, den Ort jenseits der Pinien hat die Welt zurückgelassen, sie hat sich einfach weitergedreht und diese Menschen nicht mitgenommen. Es gibt keine Zukunft hier, es gab nie eine; Luke, Romina und Robin sind hineingeboren in ihr Schicksal, sie werden für immer bleiben, was sie sind.

The Place Beyond the Pines, USA 2013 - Regie: Derek Cianfrance. Buch: Derek Cianfrance, Ben Coccio, Darius Marder. Kamera: Sean Bobbitt. Mit: Ryan Gosling, Eva Mendes, Bradley Cooper. Studiocanal, 140 Minuten.

© SZ vom 12.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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