"The Grey" im Kino:Hab keine Angst

Beziehungen und die Kommunikation zwischen Lebenden und Toten: "The Grey" ist ein kleiner Film über das Sterben und ein großer über Menschen in der Revolte. Nachdem er einen Flugzeugabsturz überlebt hat, muss Liam Neeson im tiefsten Alaska um sein Leben und gegen Wölfe kämpfen - vor allem aber gegen die eigenen Ängste.

Fritz Göttler

Don't be afraid", das ist die Botschaft dieses Films, hab keine Angst. Angst vor der Kälte, dem Abgrund, den Wölfen. Vor der Einsamkeit, der Verzweiflung, dem Nichts. Angst vor Gott. "Do something", schreit der einsame Held am Ende diesem zu, "show me something real. You phony motherfucker."

Kinostarts - 'The Grey - Unter Wölfen'

Ottway (Liam Neeson) versucht das Umfeld der Station gegen Angriffe von Wölfen zu schützen.

(Foto: dpa)

Ein Flugzeug ist in den Ebenen Alaskas zerschellt, es sollte eine Gruppe Arbeiter von ihrer Ölbohrstation zurück nach Anchorage bringen. Nur wenige haben überlebt, und sie müssen sich eingestehen, dass sie auf sich allein gestellt sind - unwahrscheinlich, dass man sie in dieser Einöde finden wird. Sie machen Feuer in der ersten Nacht, am nächsten Morgen ziehen sie los, ohne festes Ziel, im Versuch, einer Horde Wölfe zu entkommen, die sie lauernd umschleicht. Wölfe, die Phantome sind, sie lassen sich nur selten sehen, und beim ersten Erscheinen, sind sie nichts als kleine Augenpunkte in schauriger Finsternis.

Die Männer folgen Ottway. Liam Neeson spielt ihn, mit einer natürlichen Führerschaft, die Respekt einfordert und Rebellion provoziert. Er hat die meiste Erfahrung, ist ein Jäger - es war sein Job, das Umfeld der Stationen gegen die Angriffe der Wölfe zu sichern. Er ist, was man heute ein Alphatier nennt.

Womit Ottway vor allem Erfahrung hat, ist der Tod. "Don't be afraid", das hat seine Frau zu ihm gesagt, und in seinen Erinnerungen sieht er die Szene immer wieder: Sie war unheilbar krank, hat ihn gestreichelt und getröstet, hat gewusst, dass ihr Tod am Ende für ihn schrecklicher sein muss als für sie. Die Beziehungen, die Kommunikation der Lebenden und der Toten, das ist eins der großen Kinothemen, von Anfang an - als hätte mit den mechanisch reproduzierten bewegten Bildern die Kinematographie dem Tod etwas von seinem Schrecken genommen.

Am Abend vor dem Abflug hat Ottway einen Brief geschrieben, "Dearest One", dann hat er sein Gewehr genommen und ist nach draußen gegangen, und einer, der ihn dabei beobachtet hat, kannte den Gesichtsausdruck und den Blick und dachte, den Mann werde er lebend nicht wiedersehen. Ottway hatte den Lauf schon gegen den Mund gedrückt, ein Wolfsheulen hat ihn dann zurückgehalten. Dieser Brief geistert durch den Film, verkrumpelt und zusammengeknüllt, in den groben, verharschten, schmutzigen Händen von Liam Neeson.

Einheit von Handeln und Denken

Ein Film aus dem Morituri-Genre - Todgeweihte kämpfen isoliert, fernab der Zivilisation, ums Überleben, und sie kämpfen vor allem gegen die eigenen Ängste. Es gibt Reste von Selbstmitleid, böse Ausfälle gegen andere, aber auch viel stoische Würde. Unmittelbar nach dem Absturz findet Ottway einen Kumpel, schrecklich zugerichtet, er wird verbluten. Du wirst sterben, sagt er ihm aufrichtig und brutal, aber ich werde dir helfen hinüberzukommen. Wen liebst du am meisten - hol ihn dir, er soll dich drüben in Empfang nehmen . . . Eine Kino-Lektion in Sterbehilfe.

Der Film meidet jede Sentimentalität, das ist Liam Neeson zu verdanken und dem Regisseur Joe Carnahan - beide haben in den vergangenen Jahren vor allem wilde, aggressive, ein wenig selbstironische Action gemacht - gemeinsam zogen sie das eher alberne Remake der TV-Serie "Das A-Team" durch.

"The Grey" haben sie on location in British Columbia, Kanada gedreht, bei Unter-Null-Graden, die Landschaft und das Wetter sind nicht digital nachbearbeitet, und man sieht den Männern die Kälte und die Leere an, in der sie agieren. Manchmal dachte ich, erzählt Liam Neeson, wir würden diesen Film nie fertig machen, der Film würde uns fertigmachen. Es ist ein Film, in dem jede Einstellung ihren eigenen Rhythmus und Sinn findet.

Die Einheit von Handeln und Denken, von der dieser Film lebt - Camus und Blanchot haben das exemplarisch vorgeführt, eine Philosophie, die aus der Existenz kommt. Im Kino hat Sam Peckinpah das beschworen, in seinen Western-Elegien, "The Wild Bunch" oder "Pat Garrett and Billy the Kid". Mit einem Gedicht zieht Ottway in den Kampf gegen den Leitwolf: "Once more into the fray / Into the last good fight I'll ever know / Live and die on this day / Live and die on this day." Ein simples Gedicht, sagt Joe Carnahan, inspiriert von dem großen Dichter, den sie schlicht the bard nennen.

THE GREY, USA 2012 - Regie: Joe Carnahan. Buch: Joe Carnahan, Ian Mackenzie Jeffers. Kamera: Masanobu Takayanagi. Mit: Liam Neeson, Dallas Roberts, Frank Grillo, Joe Anderson, Dermot Mulroney. Universum, 117 Minuten.

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