"The Gates" im Central Park:Instant Karma

Ein großes Gemeinschaftsfest in flatterndem Safrangelb: In New York begann das Kunstereignis "The Gates" von Christo und Jeanne-Claude. Keine Botschaften und keine Symbole sind dahinter verborgen - nur Freude und Schönheit.

Von Andrian Kreye

Der Tag hätte nicht perfekter sein können. Schließlich hatte sich das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude sein Projekt "The Gates" als Volkskunstaktion für einen Februartag im Central Park ausgedacht.

The Gates, Christo, dpa

"The Gates" gehören nun zum Stadtbild New Yorks.

(Foto: Foto: dpa)

Der mäßig bewölkte Himmel sorgte mit seinem wechselnden Sonnenlicht für die erwünschten Lichtspiele auf den safranfarbenen Kunststoffsegeln. Ein leichter Westwind brachte die Stoffbahnen zum Flattern, und die erträglichen Wintertemperaturen sorgten dafür, dass nicht nur die angereisten Touristen, sondern auch die Einheimischen in großer Zahl in den Park strömten.

Hübsch sah das aus, wie all die Menschen unter den leuchtfarbenen Toren herumspazierten, ausschließlich von entspannter Feiertagslaune getrieben, die nur hie und da aufgeregter Freude wich, wenn die silbergraue Maybachlimousine auftauchte, in der sich Christo und Jeanne-Claude immer wieder rund um den Park herumfahren ließen, glücklich lächelnd im Fond, fast ungläubig, dass ihr Projekt nach 26 Jahren Kampf gegen die New Yorker Stadtverwaltung nun endlich Wirklichkeit geworden war.

"Danke! Danke!", riefen die Menschen, die Spalier standen, wie Teenager beim Anblick ihrer Idole. Eine Dame lehnte sich über den Arm eines Bodyguards hinweg, küsste das Dach des Wagens, hauchte ihr "Danke!" an die Windschutzscheibe.

Genau das, nichts anderes wollten Christo und Jeanne-Claude erreichen. Schon bei der Pressekonferenz im Metropolitan Museum hatten sich die beiden am Vortag ganz dezidiert ein Zuviel an Interpretation verbeten.

"Freude und Schönheit", erklärte Jeanne-Claude, seien die einzigen Gründe, warum sie "The Gates" konzipiert hätten. Keine Botschaften und keine Symbole seien da verborgen. Womit sie unbedingt Recht hat. Der rein dekorative Charakter ist gleichzeitig Stärke und Schwäche von "The Gates".

Wenn schon keine Analysen erlaubt sind, so muss sich das Projekt zumindest ein paar Vergleiche und Einordnungen gefallen lassen, immerhin wird es nun schon seit mehreren Monaten als das weltweit spektakulärste Kunstereignis angekündigt, seit, nun ja, eigentlich seitdem die beiden vor zehn Jahren den Berliner Reichstag verpackt haben.

Kurzer, unprovozierter Wutausbruch

Verzeihung - verhüllt muss das heißen. Wer sich mit Christo und Jeanne-Claude beschäftigt, wird von den beiden und ihren Mitarbeitern mit zahlreichen Ermahnungen bedacht. Vor Interviews muss man ein Merkblatt mit den "häufigsten Fehlern" durchlesen.

Christos einzige Äußerung zu Beginn der Pressekonferenz war ein kurzer, unprovozierter Wutausbruch - einige Mitglieder der anwesenden Journaille hatten sich, schäumte er, immer noch erdreistet, Christo nicht in einem Atemzug mit seiner Frau zu nennen.

Und selbst New Yorks Bürgermeister Bloomberg musste sich bei seiner Moderation der Pressekonferenz gefallen lassen, dass Jeanne-Claude ihm streng ins Wort fiel, weswegen er eine Journalistin dann auch gleich selbst zurechtwies, als sie die Kunststoffsegel orange und nicht safranfarben nannte.

Diese permanente angriffslustige Vorwärtsverteidigung wirkt liebenswert schrullig. Sie entstammt einer Ära, in der die notorische Konfrontation mit bürgerlichen Zwängen und Geschmäckern noch fest zur Identität als Künstler gehörte.

Heute, zu einer Zeit, in der das honorige Guggenheim Museum die pornografischen Fotografien des Larry-Clark-Schülers Ryan McGinley ausstellt und politische Vorstöße gegen die moderne Kunst nur noch von orthodoxen Fundamentalisten ernst genommen werden, kaschiert die permanente Streitsuche eher die Angst vor der eigenen Gefälligkeit.

Schmerzfreie Inhaltslosigkeit

Christo und Jeanne-Claude gehören zu einem Kapitel der Kunstgeschichte, in dem der Elitegedanke ins Extreme weitergedacht wurde. "Land" und "Environmental Art" - der deutsche Begriff der Landschaftskunst wird nur selten verwendet - war die Kunst einer Gruppe von Bilderstürmern, die nach der endgültigen Auflösung der Formen durch die Avantgarde in den sechziger Jahren nur noch einen Weg nach vorne sahen - sämtliche Rahmen im ganz buchstäblich en Sinn zu sprengen:

Kein Raum war ihnen groß genug. Bald mussten es ganze Landschaften, Berge und Landkreise sein, die sie zum Kunstwerk umgestalteten. Die jungen Größenwahnsinnigen hießen Michael Heizer, Walter de Maria, James Turrell und Robert Smithson.

Einige Projekte sind bis heute nicht fertig. Turrell baut in der Wüste von Arizona seit 28 Jahren einen Vulkan zur Licht skulptur "Roden Crater" um. Heizer errichtet seit 32 Jahren im benachbarten Nevada eine abstrahierte Aztekenstadt im Originalmaßstab. Diese Künstler wollten aber nicht nur Großes schaffen, sondern setzten sich auch der Vergänglichkeit aus.

Das wohl bekannteste Werk der Land Art, "Spiral Jetty", das Robert Smithson in Form einer spiralförmigen Mole in den großen Salzsee von Utah baute, ist seit einigen Jahren nur noch bei Dürre zu sehen und stark erodiert.

Das immanente Problem der Land Art ist die physische Unzugänglichkeit. Allein die Anreise ist oft schon zu schwierig. Heizer und Turrell haben ihre laufenden Arbeiten sogar hermetisch abgeriegelt. Viele Projekte erschließen sich nur aus einem Flugzeug. Manche Inhalte werden nur unter großem Zeitaufwand zugänglich, so wie bei Walter de Marias "The Lightning Field" in New Mexico, das man nur besichtigen darf, wenn man mindestens 24 Stunden bleibt.

Gegen all diese monumentalen Ansprüche haben sich Christo und Jeanne Claude stets verwehrt. Die meisten ihrer Werke entstanden in einem urbanen Umfeld oder waren zumindest in wenigen Minuten erreichbar, sogar als sie den räumlichen Anspruch der Land Art 1991 auf die Spitze trieben und mit ihrer Installation "Umbrellas" den gesamten pazifischen Raum zwischen Kalifornien und Japan einbezogen.

Instant Karma

Auch bei der Finanzierung unterscheiden sich Christo und Jeanne-Claude von ihren Weggefährten. Während Heizers und Turrells Arbeiten aus Geldmangel oft für Jahre ruhen, hat das Künstlerehepaar "The Gates" wie immer aus eigener Kraft finanziert und dem Central Park obendrein noch drei Millionen Dollar gestiftet.

Ihre Distanz zu den Gesinnungsgenossen der Land Art hat jedoch zwiespältige Folgen. Auf der einen Seite demokratisieren die beiden eine der unzugänglichsten Kunstformen. Auf der anderen Seite reduziert sich ihr avantgardistischer Gestus zur Rechtfertigung einer schmerzfreien Inhaltslosigkeit. Zwar vermeiden Christo und Jeanne-Claude den Anspruch, gleich einen ganzen Landstrich mit all seinen Naturgewalten als Palette zu verwenden.

Die organische Vergänglichkeit der Landschaftskunstwerke durch die Einwirkung der Elemente ersetzen sie dafür mit einem strengen Auf- und Abbauplan, der ihre Projekte für das Konzentrationsvermögen der medienreizüberfluteten Gesellschaft auf den Zeitrahmen eines so genannten Events beschränkt.

Gehässig oder schwülstig

Es sind gerade diese Reduktionen, mit denen sich Christo und Jeanne Claude in jener Sparte der Popkünste ansiedeln, die avantgardistische Traditionen durch schieres Produktionsvolumen zugänglich machen. So verhält sich "The Gates" zur Land Art ähnlich wie die Akrobatik des Cirque de Soleil zu Merce Cunninghams Choreografien oder die Clownereien der Blue Man Group zum Formbruch der Wooster Group.

"The Gates" machen ratlos, selbst im Vergleich mit Christo und Jeanne-Claudes eigenen Arbeiten. Es fehlt jeglicher subversiver Humor, mit dem sie einst monumentale Sehenswürdigkeiten verhüllten.

Stattdessen entlädt sich der Kraftakt der Aufbauten im Central Park in der armseligen Katharsis einer Enthüllung bunter Stoffsegel. Die Beschreibung rettet sich in Vergleichsbilder und poetische Beschreibungen, die wahlweise gehässig oder schwülstig ausfallen. Was bleibt, ist letztlich das Ereignis.

Immerhin, gerade dieses unbestimmte Gemeinschaftsgefühl, auf dem "Great Lawn" des Parks zu stehen und das gleiche Kunsterlebnis zu haben wie all die Tausenden ringsherum, allein dieses Gefühl macht auch die Qualität von "The Gates" aus.

Kunst zeigt sich hier einmal mehr als eine der letzten Nischen, in denen sich die Merkantilgesellschaft noch so etwas wie Spiritualität gestattet. So wenig wie es bei einem Besuch eines Kirchenfürsten um das Charisma und die Rhetorik des Kirchenführers, sondern um ein gemeinsames Erleben einer geistlichen Erfüllung geht, so wenig ist es ein Zufall, dass die Rundfahrten von Christo und Jeanne-Claude von den anwesenden Massen mit einer solchen huldvollen Hingabe begrüßt wurden. Unter diesen schaffen sie das, was John Lennon "instant karma" nannte - ein spontanes Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein.

Freilich erzielen "The Gates" wie die meisten der modernen Ersatzspiritualitäten vor allem einen harmlosen Wohlfühl effekt, der hier schon wenige Blocks nach dem Parkausgang wieder abflaut. "The Gates" können nicht verblüffen, nicht faszinieren, nicht begeistern.

Sie sind einfach nur attraktiv anzusehen. Mehr wäre bei einem Ereignis von dieser Dimension über zwei Wochen wahrscheinlich auch zu viel. Die Wirkung geht in die Breite, nicht in die Tiefe.

Keiner hat die Wirkung eines solchen Ereignisses besser verstanden als Michael Bloomberg, der bei diesem Ereignis nur in zweiter Linie als Volksvertreter fungiert: Als Bürgermeister der Stadt New York bringt er vor allem seine Erfahrungen als Industriekapitän zum Einsatz.

Kunst als Markenbildung

Freudig berichtete er bei der Pressekonferenz, er erwarte nächste Woche die Kommission des Internationalen Olympischen Komitees, die darüber entscheidet, ob New York Olympiastadt 2012 wird.

Das ist Kunst als Markenbildung, wie sie nur ganz wenige beherrschen: der Architekt Frank Gehry vielleicht, der mit seinen Gebäuden selbst einer so tristen Stadt wie Bilbao zu Denkmalswürden verhelfen kann. Oder sein Kollege Aldo Rossi, der für Alessi Küchengeräte zu Prestige-Ikonen veredelt. Und eben Christo und Jeanne-Claude, die Orte zum Schauplatz der Kunstgeschichte machen und damit sogar dem Berliner Reichstag die historisch belastete Aura nehmen konnten.

Ähnlich ergeht es jetzt New York, auf dem noch immer die Schatten des 11. Septembers liegen. So friedfertig, so nett, so freundlich würden die Olympiafunktionäre diese Stadt ohne "The Gates" sonst nicht erleben, schon gar nicht im härtesten der Wintermonate. Auch wenn der gefürchtete Nordostwind nächste Woche einen Schneesturm durch die Straßenschluchten peitscht, im Park wird selbst das Sauwetter ein hübsches Spektakel in leuchtendem Safran sein, das Bürger und Touristen freudig genießen.

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