"The East" im Kino:"Ich erkenne mich selbst nicht mehr"

Brit Marling und Alexander Skarsgard in "The East" im Kino

Sarah (Brit Marling) und Benji (Alexander Skarsgård) in "The East".

(Foto: dpa)

"The East" ist ein emotionaler kleiner Politthriller, der in Zeiten von NSA-Skandal und Occupy hochaktuell geraten ist. Der Film von Zal Batmanglij und mit Brit Marling findet den Widerstand im Herzen Amerikas.

Von Martina Knoben

Zum Abendessen tragen alle Zwangsjacke, auch Benji (Alexander Skarsgård), der heimliche Führer der Gruppe, und Sarah (Brit Marling), die Neue, die aufgenommen wurde, weil sie verletzt wurde auf der Flucht vor der Polizei. An Sarahs Platz steht ein hölzerner Napf, daneben ein Holzlöffel, eine Schüssel mit Essen steht ebenfalls auf dem Tisch. Sarah nimmt den Löffel in den Mund, füllt mühsam ihren Napf und muss sich dann wie ein Tier über ihren Napf beugen. Nur um zu erleben, wie ihre Tischnachbarn das Problem in ritueller Eintracht lösen: Die Holzlöffel im Mund, füttern sie sich gegenseitig.

Es ist eine Initiation, eine Lektion in Gemeinschaftsgeist: Zusammen lässt sich die Ohnmacht überwinden, zusammen wird die Gruppe in Würde satt. Mit Sarah taucht der Film in eine unheimliche, archaische Welt, ohne Konsum und Besitz, mit seltsamen Ritualen und harmonieseligen Kinderspielen. Die moralische oder politische Ausrichtung der Gruppe ist erst einmal nicht klar. Ist es eine Sekte, in die Sarah hineingeraten ist? Womöglich mit Benji als Charles-Manson-artigem Führer?

Auch Sarah hat ein Geheimnis, sie heißt eigentlich Jane, war früher beim FBI und arbeitet jetzt für eine private Sicherheitsfirma. Ihr Job: Sich in die Terrororganisation "The East" einzuschleusen, die Anschläge auf Firmenbosse verübt, deren Konzerne für Gesundheitsschäden und Umweltzerstörung verantwortlich sind.

Mit seinem Öko- und Spionagethriller "The East", den er mit seiner Hauptdarstellerin Brit Marling auch selbst geschrieben hat, trifft der iranischstämmige amerikanische Regisseur Zal Batmanglij überraschend den Nerv der Zeit. "Ihr spioniert uns aus - wir spionieren euch aus", heißt es gleich zu Beginn des Films in einem Video der "East"-Aktivisten. Diese Paranoia, sich grundsätzlich bespitzelt zu fühlen, hat inzwischen jede Berechtigung in der Wirklichkeit erfahren, durch den globalen Lauschangriff des US-Nachrichtendienstes NSA und befreundeter Geheimdienste.

Auch das Gefühl ohnmächtiger Wut, das Benji und seine Leute angesichts von Datenspionage und entfesseltem Kapitalismus empfinden, treibt ganz real die Menschen um, man denke nur an die Occupy-Bewegung. Und wenn die Agentin Jane alias Sarah, infiltriert von den Überzeugungen der Aktivisten, schließlich die Seiten wechselt, hat auch diese Wendung ein Vorbild in der Realität, in der der Geheimdienstler Edward Snowden zum Whistleblower wurde.

"Auge um Auge, Zahn um Zahn"

Es ist wieder Zeit für Idealisten, im Leben wie im Kino. Wobei niemand mehr unschuldig bleiben kann, diese moralische Ambivalenz unterscheidet Filme wie "The East" oder die ebenfalls aktuellen Thriller "Promised Land" von Gus Van Sant oder Robert Redfords "The Company You Keep" über die amerikanische Terrorgruppe der "Weathermen" von älteren Filmen wie etwa Steven Soderberghs "Erin Brockovich" (2000), in dem Julia Roberts noch reinen Herzens gegen "die da oben" ins Feld ziehen konnte. In "The East" werden dagegen echt bösartige Verbrechen begangen. Nach dem Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn" fügen die Aktivisten Firmenverantwortlichen genau solche Schäden zu, wie deren Konzerne es mit anderen Menschen tun.

Das kann ein erzwungenes Bad in einem chemieverseuchten See sein oder die heimliche Eingabe eines Medikaments mit verheerenden Nebenwirkungen. Die kunstvollen Verwüstungen in Hans Weingartners thematisch verwandtem Film "Die fetten Jahre sind vorbei" (2004) muten dagegen jedenfalls wie harmlose Spielchen an. Manche Wendungen der Geschichte wirken schlicht, ja geradezu naiv, ebenso die Charakterisierung nahezu aller Anzugträger als womöglich auch sexuell unersättliche, skrupellose Fieslinge. Aber auch wenn der Thrillerplot an manchen Stellen etwas unbeholfen wirken mag, ist "The East" hoch spannend. Eine so starke Verbindung von Genre und frischem Gegenwartsbezug erinnert jedenfalls an große Kinozeiten des New Hollywood.

Die dunkle Seite im strahlend hellen Gewand

Auch die alte Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, wie weit man gehen würde für seine Überzeugung, wird mit Wucht und Schärfe neu gestellt. Und die Strukturen dieser Außenseiterbande werden von Batmanglij und Marling recht präzise und ohne allzu viel Romantik analysiert. Etwa die Oberschichtsbiografien der meisten Mitglieder, oder die Tatsache, dass die Gruppe, obwohl sie sich anarchistisch nennt, mit Benji einen heimlichen, dafür umso einflussreicheren Anführer hat. Dass das Zusammenleben der Gruppe so authentisch wirkt, liegt vielleicht auch daran, dass die Autoren selbst ähnliche Gruppen kennengelernt haben. Als sie noch Studenten waren, hätten sie, wie sie im Interview erzählen, einen Sommer lang als "Freeganer" gelebt: ein einfaches Leben in Zeltlagern und leer stehenden Gebäuden, ohne Geld auszugeben; gegessen wurde, was man in den Mülltonnen der Wohlhabenden fand. In der Zeichnung dieser ganz speziellen Subkultur des Verzichtens liegt hier eine besondere Stärke.

"The East" ist Batmanglijs zweiter Spielfilm (nach "Sound of my Voice"), eine Independent-Produktion, für die der Regisseur jedoch eine eindrucksvolle Schauspielerriege gewinnen konnte. Patricia Clarkson hat kurze, prägnante Auftritte als Janes Chefin. Sie verkörpert die dunkle Seite der Macht - im strahlend hellen, glamourösen Gewand. Wenn der Neoliberalismus ein Gesicht hätte, es wäre vielleicht dieses. Ihr Gegenspieler ist Benji, dem Alexander Skasgård den düsteren, irren Sexappeal eines Andreas Baader verleiht. Vor allem aber überzeugt auch Co-Autorin Brit Marling: als Karrieristin, die einen Job erledigen will, deren - sehr amerikanischer - Professionalismus aber zunehmend deformiert wird durch die Werte und Lebensweise der Menschen, die sie ausspioniert. "Ich erkenne mich selbst nicht mehr im Spiegel", sagt Sarah/Jane einmal, ein Gefühl der Zerissenheit, das häufig ist heute im Kino.

Eine Liebesgeschichte soll Sarah zu Benji ziehen, so will es das Drehbuch. Aber die beiden sind auch - und sehr viel mehr - Geschwister im Geiste, elternlose Kinder wie Hänsel und Gretel, die im Wald eine unheimliche Zuflucht finden. Tief im amerikanischen Hinterland liegt die verfallene Villa, die das Hauptquartier des "East"-Geheimbundes bildet. Das grüne Herz Amerikas als Fluchtpunkt und Ort der Läuterung - ein uramerikanisches Thema. Wobei die Unschuld lange dahin ist: Der Unabomber plante seine Anschläge als Eremit in der Wildnis.

In gedeckten Altmeisterfarben hat Kameramann Roman Vasyanov dieses Haus im Wald fotografiert. Ein Baum ist in ein Zimmer gestürzt, die Natur erobert es langsam zurück. Die morbide Schönheit dieses verfallenden Labyrinths erinnert an die Ästhetik Andrej Tarkowskis (vor allem des "Stalker"). Bei aller technologischen Avanciertheit in der Planung ihrer Taten steckt auch ein wenig "Landlust" in der Vision dieser Gruppe - und der konspirative Geist einer jugendlich hippen Party.

The East, USA/GB 2013 - Regie: Zal Batmanglij. Buch: Z. Batmanglij, Brit Marling. Kamera: Roman Vasyanov. Schnitt: Andrew Weisblum, Bill Pankow. Musik: Halli Cauthery. Mit: Brit Marling, Alexander Skarsgård, Ellen Page, Toby Kebbell, Julia Ormond, Patricia Clarkson. Fox, 116 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: