"The Death of Stalin" im Kino:Böse Menschen, die Böses tun

Filmstills „The Death of Stalin“ (Kinostart am 29.3.18); © Concorde (auch online).

Der Chef ist tot, die Generäle überbieten sich gegenseitig mit Intrigen und Kriegserklärungen: Jason Isaacs als Georgi Schukow.

(Foto: Concorde)

Der schottische Regisseur Armando Iannucci hat eine Politfarce über die Sowjetzeit gedreht. Die Russen allerdings finden "The Death of Stalin" überhaupt nicht witzig - und haben den Film verboten.

Von Alexander Menden

Nikita Chruschtschow ist entsetzt: "Unser Generalsekretär liegt würdelos in einer Pisslache!", klagt er. Joseph Stalin hat sich bei der Lektüre des wütenden Briefs einer Konzertpianistin, deren Familie er hatte ermorden lassen, buchstäblich totgelacht. Keiner der herbeigeeilten Parteigranden weiß so recht, wie sie nun verfahren sollen. Selbst wenn noch etwas zu retten wäre - medizinische Hilfe für den am Boden liegenden Stalin stünde ohnehin nicht zur Verfügung. Er hat aus Angst vor Vergiftung alle kompetenten Ärzte umbringen lassen. Ratlosigkeit allenthalben; nur Geheimdienstchef Lawrenti Beria war schon vorher da und hat Geheimdokumente eingesackt, um sich für die anstehende Diadochenschlacht zu rüsten.

Diese fieberhafte Übergangsphase im Moskauer Politbüro nach dem Tod des Sowjetdiktators am 5. März 1953 ist die Ausgangslage für Armando Iannucis Film "The Death of Stalin". Die jüngste Politfarce des schottischen Autors und Regisseurs, basierend auf einem französischen Comic, ist seine bisher düsterste. Der Schöpfer von "The Thick of It" und "Veep" hätte sich dabei keinen schöneren Ritterschlag wünschen können als das Verbot des Films durch die russische Regierung im vergangenen Januar. Yelena Drapeko, Mitglied des parlamentarischen Kulturkomitees, fand ihn "extremistisch" und behauptete, sie habe noch nie in ihrem ganzen Leben "etwas so Ekelhaftes gesehen".

Man kann nur darüber spekulieren, was Frau Drapeko an "The Death of Stalin" besonders abstoßend fand. Aus Sicht eines Stalin-Fans dürfte es jedenfalls schwer zu ertragen sein, Onkelchen auf dem Teppich liegen zu sehen, seine Kleider durchtränkt vom eigenen Urin. Wer aber einen Sinn für die Absurdität politischer Ranküne in einem von Argwohn, Todesangst und Gewalt geprägten, plötzlich kopflos gewordenen Machtapparat hat, dürfte "The Death of Stalin" sehr komisch finden.

Totalitären Archetypen, die nichts vereint als Machtgier, Gangstergesinnung und der eiserne Wille

Großen Anteil an der Atmosphäre überhitzter, passiv-aggressiver Boshaftigkeit hat die großartige Besetzung. Iannucci hat für die einander belauernden Sowjet-Apparatschiks eine spieltechnisch heterogene, im Ensemble aber fantastisch funktionierende Gruppe amerikanischer und britischer Schauspieler zusammengestellt. Dabei geht es nie in erster Linie um die Imitation historischer Figuren, sondern ums Aufspießen von totalitären Archetypen, die nichts vereint als Machtgier, Gangstergesinnung und der eiserne Wille, nie etwas ohne einstimmige Komitee-Entscheidung zu beschließen.

Jeffrey Tambor spielt den designierten Stalin-Nachfolger Georgi Malenkow mit einem seltsam seidigen Toupet und einer Aura exquisiter, eitler Unfähigkeit. Malenkow ist ein Meister darin, sich in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen diametral zu widersprechen und dabei immer den Brustton der Überzeugung beizubehalten.

Dem im wirklichen Leben für seine ans Katatonische grenzende Unerschütterlichkeit berüchtigten Außenminister Molotow verleiht Monty-Python-Veteran Michael Palin eine paranoide Nervosität. Molotow ist ideologiegetränkt, er opfert der Partei nicht nur alle Selbstachtung, sondern schließlich sogar seine Ehefrau. Auch Figuren, die weniger kunstfertigen Drehbuchschreibern als Iannucci und seinem Koautor David Schneider blass geraten wären, wirken dreidimensional: Der britische Sketchkomiker Paul Whitehouse etwa ist als Handelsminister Anastas Mikoyan ebenso gemütlich wie bedrohlich.

Als Hauptgegner im Kampf um die Macht zeichnen sich aber schon bald Nikita Chruschtschow und Lawrenti Beria ab. Steve Buscemi war dem Vernehmen nach skeptisch, als ihm Chruschtschow angeboten wurde. Tatsächlich sieht er weder so aus wie der bullige Schuhklopfer, noch versucht er, sich dessen Gestik anzueignen. Aber er ist perfekt für die Rolle des Hofnarren, dessen Gerissenheit sogar ihn selbst zu überraschen scheint. Der britische Theaterstar Simon Russell Beale, der Beria spielt, gilt zu Recht als größter Richard III. seiner Generation. Als Chef der Geheimpolizei legt er eine ähnliche Unmenschlichkeit an den Tag wie Shakespeares Mörderkönig, wenn er Anweisungen über den Ablauf einer Exekution gibt.

Der eine Massenmörder beschuldigt den anderen wegen "Unmoral"

Die Szenen, in denen diese beiden im Machtvakuum die Fäden ziehen, sich zugleich um die Gunst von Stalins verzogenen Kindern sowie des polternden Weltkriegsgenerals Schukow bemühen, sind machiavellistische Leckerbissen.

Armando Iannucci hat in seinen Filmen immer wieder die Lächerlichkeit von politischer Inkompetenz und hirnlosen administrativen Mechanismen bloßgelegt. Doch das Schlimmste, das sein dauerfluchender Labour-Spin Doctor Malcolm Tucker in "The Thick of It" zu befürchten hatte, war ein unglamouröses Karriereende. Hier dagegen droht nicht weniger als der aufgesetzte Kopfschuss.

Iannucci stellt sich der Schwärze dieses Stoffs. Er weiß, dass die Farce nicht komödiantisch gespielt werden muss, sondern dass sich ihr komisches Potenzial oft sogar wegen der Brutalität des Gezeigten von selbst ergibt. "The Death of Stalin" historisiert nicht. Es ist eine zeitlose Ensemblekomödie über böse Menschen, die Böses im Schilde führen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit Böses tun. Das mit wackeliger Handkamera gefilmte Femegericht, in der das Ganze kulminiert, ist ein Lehrbuchbeispiel für tödliche Heuchelei - Massenmörder, die einen anderen Massenmörder "bourgeoiser Unmoral" bezichtigen. Jeder von ihnen hätte das Ende verdient, das den Angeklagten erwartet.

The Death of Stalin, USA/F/GB 2018 - Regie: Armando Iannucci. Buch: David Schneider, Ian Martin, Iannucci. Kamera: Zac Nicholson. Mit: Olga Kurylenko, Steve Buscemi. Concorde, 106 Minuten.

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