Thalia Theater Hamburg:Bühnenflüchtlinge

Früchte des Zorns von John Steinbeck Regie Luk Perceval  Premiere 23. Januar 2016 am Thalia Theater

Es geht um Armutsmigration zur Zeit der großen Depression.

(Foto: Armin Smailovic)

Der Regisseur Luk Perceval verkitscht John Steinbecks Roman "Früchte des Zorns" - dabei ist die Stoffwahl gut.

Von Peter Laudenbach

Nicht nur Teile der Bevölkerung, der Politik und der Behörden zeigen sich vom Anstrom der Geflüchteten überfordert. Auch viele Theaterkünstler sind der Situation intellektuell und professionell nicht gewachsen. Als Teil der Zivilgesellschaft helfen viele Theater den Menschen in Not mit großem Engagement. Kompliziert wird es, wenn sie sich in ihrem eigenen Metier, also künstlerisch mit der Lage der Geflüchteten beschäftigen. Neben klugen, formsicheren Inszenierungen (wie den sehr unterschiedlichen Interpretationen von Elfriede Jelineks Stück "Die Schutzbefohlenen", die Nicolas Stemann in Hamburg, Michael Thalheimer in Wien und Enrico Lübbe in Leipzig inszeniert haben) fehlt es nicht an gut gemeinten Peinlichkeiten.

In Berlin bot eine Performancegruppe ein interaktives Spiel an, das eine Fluchtsituation simuliert - mal was Neues für den gelangweilten Kultur-Flaneur. Karin Beier bedient am Schauspielhaus Hamburg mit afrikanischen - also vermeintlich authentischen - Schauspielern rassistische Klischees vom tanzenden, singenden, irgendwie ursprünglichen Schwarzen, natürlich in kritischer Absicht ("Das Schiff der Träume"). Sebastian Nübling veranstaltet am Berliner Gorki-Theater ein gruppendynamisches Ringelpiez und versieht die Belanglosigkeit mittels Passagen aus Jelineks "Schutzbefohlenen" mit geliehener Bedeutung. So wird die Flüchtlingskrise zum Aufmerksamkeitsgenerator für Theaterdarbietungen aller Art. Guter Wille, diffuse Betroffenheit, simple Weltbilder und kaum reflektierte Kunstmittel können eine fatale Mischung ergeben.

In diese Reihe mit großem, aber vom Bühnengeschehen in keiner Weise gedecktem Anspruch gehört auch Luk Percevals neue Inszenierung, mit der das Hamburger Thalia Theater seine Lessing-Tage eröffnet hat. Dabei war Percevals Stoffwahl klug: Um den Fallen der szenischen Bebilderung von Tagesaktualität oder volltönender Moralappelle zu entgehen, wollte er mit John Steinbecks 1939 erschienenem Roman "Früchte des Zorns" von der inneramerikanischen Armuts- und Arbeitsmigration zur Zeit der großen Depression erzählen. Nicht Afrikaner und Araber, sondern verelendete Farmer aus Oklahoma sind hier auf der Suche nach einem besseren Leben im wohlhabenden Kalifornien, in der Sprache des Ressentiments lauter "Wirtschaftsflüchtlinge". Der Migrant ist nicht "der andere", sondern potenziell jeder, eine größere Rezession oder die Folgen des Klimawandels genügen.

Die Inszenierung verschenkt die Chance der Irritation, die in diesem Perspektivwechsel liegt. Stattdessen kaschiert die Regie mit klischeefreudigen und sehr äußerlichen Theatermitteln, dass sie weder für die Figuren noch für den Stoff noch für die Adaption des Romans einen Zugriff, geschweige denn eine Form gefunden hat. Es wird abwechselnd erzählt und gespielt, auch gerne gebrüllt, ohne dass so etwas wie eine Erzählung entstehen würde. Dekorativ fällt unaufhörlich Laub vom Bühnenhimmel, was als Zeichen für Not und Verfall gemeint sein könnte. Eine große Plane dient als Behausung, wird aber auch gerne wie im Kindergarten aufgeregt in die Höhe geworfen oder um Leiber gewickelt. Weil das alles so anstrengend wie trostlos ist, kann man verstehen, dass die Darsteller zur Abwechslung gerne auf der Stelle trappeln, "Gottverdammt" krächzen oder den Wunsch äußern, "Leute umzubringen".

Schon das erste Bild geizt nicht mit Trivialkitsch: Ein in ein weißes Laken gehüllter Leidensmann klammert sich knieend an einen verkrüppelten Ast, den er wie ein Kreuz hält, während er einen Klagesingsang von sich gibt. Nun gut, auch Steinbecks Roman benutzt Anklänge an biblische Sprache, wenn auch nicht so plakativ. Weil ja auch Belgier in Deutschland irgendwie Fremde sind, geben die Schauspieler des koproduzierenden Theaters NTGent die verarmten Farmer des mittleren Westens, aber auch diese aparte Besetzungsidee kann das dröhnende Kunstgewerbe nicht retten.

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