Terry Gilliam zum 70.:Ritter der Kopfnuss

Einst war er Teil von Monty Python, jetzt wird der anarchische Kinovisionär Terry Gilliam siebzig. Ein Glückskind ist er wohl nicht - im Kampf gegen Windmühlen aber dafür geübt wie kein Zweiter.

Susan Vahabzadeh

Aber, sagt das kleine Mädchen auf dem Schoß seiner Mutter, der Weihnachtsmann kann doch gar nicht zu uns kommen, wenn wir keinen Kamin haben. Zack. Boom. Bang. Schon fällt ein Stück der Decke auf den Wohnzimmertisch und gleich ein Dutzend Männer seilen sich ab - keine Weihnachtsmänner allerdings, sondern vermummte Staatspolizei. Sie stecken den Vater in ihren Sack, und ein Beamter vom Informationsministerium hält der Mutter ein Stück Papier hin: "Bitte schön, die Quittung für Ihren Mann."

Terry Gilliam Press Conference - 2009 Cannes Film Festival

Terry Gilliam ersinnt böse, bizarre moderne Märchen, voller Visionen von staatlicher Kontrolle, Diktatur und Terrorismus.

(Foto: Getty Images)

Die Szene stammt aus dem Film Brazil (1985), und es muss schon eine ziemliche Anarchie im Kopf eines Menschen herrschen, der sich so was ausdenkt. Terry Gilliam ersinnt böse, bizarre moderne Märchen, voller Visionen von staatlicher Kontrolle, Diktatur und Terrorismus. Gilliam fürchte die Psychoanalyse, hat sein Monty-Python-Mitstreiter John Cleese gesagt, weil er so viel Angst vor dem hat, was er entdecken würde beim Erforschen seines Bewusstseins.

Als Gilliam Brazil drehte, war das der endgültige Abschied von Monty Python. Gilliam, am 22. November 1940 in Minneapolis geboren, war der einzige Amerikaner in der Truppe gewesen, seine Zeichentrick-Sketche prägten die legendäre TV-Serie Flying Circus. Zusammen machten die Pythons dann noch Kinofilme, mit Gilliam als Regisseur und Co-Autor: Die Ritter der Kokosnuss (1975), Jabberwocky (1977), schließlich, mit den Pythons John Cleese und Michael Palin (Letzterer spielt immer noch in fast allen Gilliam-Filmen mit), Time Bandits (1981).

Wenn man Cleese heute hört, war schon damals alles erkämpft, aber für Gilliam ging der Ärger danach erst richtig los. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, noch ein paar richtig große Filme zu drehen, und das wurde ein langes Hindernisrennen. Er musste seinen Produzenten fast dazu erpressen, Brazil endlich herauszubringen.

Danach wurde es richtig durchgeknallt - die erratische Weltuntergangsverschwörung in Twelve Monkeys, die Drogendelirien in Fear and Loathing in Las Vegas, die düsteren Märchenwelten von Die Brüder Grimm und Die Abenteuer des Baron Münchhausen, immer noch einer der teuersten Flops der Filmgeschichte.

Ein Glückskind ist Gilliam wohl nicht, aber ungeheuer einfallsreich - während der Arbeit an seinem düsteren Varieté-Stück Das Kabinett des Doktor Parnassus starb vor drei Jahren sein Hauptdarsteller Heath Ledger - und Gilliam stand da mit einem halbfertigen Film. Er ließ also - es geht darin ja ohnehin um Zauberei - Ledgers Figur in Traumwelten hinter einem Spiegel entschwinden, wo er dann neue Gestalten annimmt, die von Johnny Depp, Jude Law, Colin Farrell - was grandios funktioniert.

Das ist aber nichts im Vergleich zu den Kämpfen, die ihn seit vielen Jahren sein Lieblingsprojekt gekostet hat, eine Verfilmung von Don Quijote mit Johnny Depp als Sancho Pansa - wahrscheinlich der einzige Film der Welt, der nicht gemacht wurde, über den es aber einen Dokumentarfilm gibt: Lost in La Mancha vollzog 2002 die aberwitzig babylonischen Zustände nach, die dazu führten, dass Gilliam die Arbeit - da hatte er schon sehr viel Geld in den Sand gesetzt - abbrechen musste.

"Wenn du mit Quijote spielst, dann spielst du mit Quijote", sagte er. "Wir stießen auf Windmühlen. Die waren gigantisch, sie haben uns geschafft, aber wir kommen wieder. Jeder sagt mir: Vergiss es, mach was anderes. Nein, mache ich nicht, weil das so vernünftig klingt, und ich glaube nicht, dass Filme vernünftig sein sollen. In diesem Geschäft geht es darum, Leute aufzuregen, zu stimulieren, sie zu verändern und aufzurütteln - das ist kein vernünftiges Geschäft. Schon gar nicht, wenn du das Bruttosozialprodukt eines Landes ausgibst, um einen albernen Film zu machen - das ist nicht vernünftig." So sei es denn, Quijote reitet wieder - derzeit versucht Gilliam es noch einmal, mit Ewan McGregor als Sancho Pansa, wider alle Vernunft.

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