Tendenz Hofberichterstattung:Harmlos, aber unerwünscht

Von relativen und absoluten Personen der Zeitgeschichte: Yellow Press und People Magazine brauchen Promi-Fotos - die Richter nehmen darauf aber immer weniger Rücksicht.

Helmut Kerscher

Die Richterin Gerda Müller ist keineswegs eine Feindin der Presse. Die 63-jährige Vizepräsidentin des Bundesgerichtshofs (BGH) gehört nicht zu denjenigen aus den gesellschaftlichen Eliten, die gerne verächtlich über "die Presse" und insbesondere über deren Unterhaltsabteilungen reden.

Erst vor wenigen Monaten hob sie bei einer Podiumsdiskussion des öffentlich-rechtlichen ZDF die Rolle der Presse als "Wachhund in der demokratischen Gesellschaft" hervor. Müller warnte eindringlich davor, dem Wachhund das Bellen zu streng zu verbieten oder ihn zu sehr einzuschüchtern. Dann bestehe nämlich die Gefahr, "dass er gar nicht mehr bellt - auch im Ernstfall nicht - und dann würde er seiner Aufgabe nicht mehr gerecht" werden.

Neuerdings ist ihr Name mit Urteilen zum Thema "Prominentenfotos zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz" verbunden, die sehr erfreulich für Prominente und sehr unerfreulich für die Presse sowie - vermutlich - die meisten ihrer Leser sind.

Immer lästiger

Für diesen erstaunlichen Wandel gibt es zwei Ursachen: Zum einen das umstrittene so genannte "Caroline-Urteil" des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Juni 2004, dem sich der BGH nun endgültig angeschlossen hat. Zum anderen die in der Tat verhängnisvolle Allgegenwart von Fotohandys und Digitalkameras, mit denen "Leserreporter" heimlich Prominente in privaten Situation "abschießen". Dies habe groteske Formen angenommen und werde immer lästiger, sagte Gerda Müller am Nachmittag des 6. März.

In dieser Stunde vollzog sich die überraschende und später bekräftigte Wende des Bundesgerichtshofes zum Nachteil nicht nur der bunten Presse. Den Anlass lieferten wieder einmal Prinzessin Caroline und ihr Ehemann Ernst August. Zuletzt gewannen der Fußballtorwart Oliver Kahn vom FC Bayern München und die Freundin des in London lebenden Musikers Herbert Grönemeyer beim BGH ihre Prozesse gegen harmlose, aber doch höchst unerwünschte Fotos in Illustrierten (beide Urteile liegen noch nicht schriftlich vor).

In einer der Verhandlungen quittierte der eher großbürgerlich-vornehm auftretende BGH-Anwalt Herbert Messer das Vorgehen des Gerichtes mit dem Wort "Zensur". Der Deutsche Journalistenverband (DJV) warf dem Bundesgerichtshof vor, er habe "ein weiteres Mal in die Kompetenz der Redaktionen eingegriffen" (sagte der DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken).

"Befriedigung bloßer Neugier"

Beide Angriffe zielten auf den Kern der BGH-Argumentation: Das Gericht fragt nach seinem "abgestuften Schutzkonzept" erst, ob ein "Beitrag zu einem Thema von allgemeinem Interesse" vorliegt und entscheidet darüber gleich selbst. Da die "Befriedigung bloßer Neugier" nicht zählt, kommt der BGH fast immer zu dem Ergebnis, dass Urlaubs- oder Spaziergehfotos prominenter Menschen nicht von zeitgeschichtlichem Interesse und damit unzulässig sind. Bisher hatte es - auch für das Verfassungsgericht - als Aufgabe der Presse gegolten, die Interessen ihrer Leser einzuschätzen.

Auch wenn nicht jedes Paparazzi-Foto, jedes anstößige Bild erlaubt war - die deutschen Gerichte hatten eine subtile Rechtsprechung zum Recht am eigenen Bild entwickelt, um einen Ausgleich zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz der Privatsphäre einzelner zu finden. Insbesondere unterschieden sie zwischen dem Persönlichkeitsschutz von einfachen Bürgern und dem Persönlichkeitsschutz vorübergehend oder zeitlebens prominenter Menschen.

Letztere hießen "relative oder absolute Personen der Zeitgeschichte". Sie mussten sich kraft ihrer gesellschaftlichen Stellung zwar mehr gefallen lassen als Hans Mustermann, aber beileibe nicht alles - also etwa keine Fotos aus dem häuslichen Bereich oder von abgeschiedenen Orten.

Ausdrücklich erlaubte das Bundesverfassungsgericht Ende 1999 Fotos von "Plätzen, an denen sich der Einzelne unter vielen Menschen befindet".

Den Wert bloßer Unterhaltung begründete Karlsruhe damit, dass sie außer Entspannung und Zerstreuung auch Realitätsbilder vermittle und Gesprächsgegenstände für Diskussionen liefere. Beiträge über Prominente weckten vielfach das Interesse an Problemen. Prominente stünden "für bestimmte Wertvorstellungen und Lebenshaltungen", böten "Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen" und erfüllten "Leitbild- oder Kontrastfunktionen".

Nur noch mit Einwilligung?

Nach diesen Kriterien hätte etwa der Bericht der Bunten über die neue Freundin Grönemeyers sehr wohl als Beitrag zu einer Diskussion über Tod und Trauer verstanden werden können, nachdem der Musiker jahrelang den Tod seiner Frau künstlerisch verarbeitet hatte. Auch ein Beitrag über Oliver Kahns Spaziergang in St. Tropez mit seiner Freundin, eine Woche nach dem Urlaub mit der Ehefrau, konnte Diskussionen in Gang setzen. Für den BGH zählte das alles nicht. Er schloss sich dem elitären Spruch des Straßburger Gerichtshofs an, der den Schutz Prominenter vor unfreiwilligen (und unbezahlten) Fotos zur Regel erklärt hatte.

Eine Ausnahme ließ der BGH allerdings gelten: wenn ein Beitrag Informationswert habe, wenn also eine private Situation im Zusammenhang mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis stehe. Das bejahte der Bundesgerichtshof zum Beispiel für Urlaubs-Fotos von Prinzessin Caroline nebst Ehemann, weil im Begleittext auf die schwere Erkrankung von Fürst Rainier hingewiesen wurde.

Was folgt aus den jüngsten BGH-Urteilen zu Caroline, Kahn und anderen? Vor allem die Unterhaltungspresse, aber auch die seriöse Presse, wird erst einmal auf viele Fotos von Prominenten verzichten. Auf der sicheren Seite steht die Branche derzeit nur, wenn sie sich auf Hofberichterstattung im Sinn und mit Einwilligung Prominenter beschränkt.

Ob das so bleibt, hängt vom Bundesverfassungsgericht ab. Beim zuständigen Richter Wolfgang Hoffmann-Riem stapeln sich die Verfassungsbeschwerden von Illustrierten - und auch von den wenigen Prominenten, die zuletzt verloren haben. Niemand weiß, wann mit Entscheidungen zu rechnen ist. Hoffmann-Riems Amtszeit endet im März 2008 - und er hat noch einige brisante Verfahren zu erledigen.

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