Telefonpoesie:001 641 793 8122

John Giorno
(Foto: Patrick A. Burns/NYT/Redux/laif)

John Giorno, New Yorker Performancekünstler, Dichter und Muse Andy Warhols, erfand 1967 das Telefongedicht. Ein Anruf und man bekam Lyrik vorgelesen. Jetzt ist die Nummer wieder freigeschaltet.

Von Timo Lehmann

Nur ein "Tuuut", dann springt der Anrufbeantworter der Poesie an. 001 641 793 8122, eine Stimme erklingt, und man lauscht den Gedichten John Giornos. Seit wenigen Tagen ist die Nummer wieder aktiviert. Das Projekt basiert auf der Kunstaktion "Dial-a-Poem" von 1968, in welcher der Beatnikpoet und Politaktivist John Giorno seine Gedichte auf einem Anrufbeantworter aufsprechen ließ. Vier Jahre konnte man die Nummer anwählen und sich den gedichteten Worten am Hörer hingeben, eingestimmt von Patti Smith, Allen Ginsberg, David Byrne und anderen Szenegrößen ihrer Zeit - damals eine extrem erfolgreiche Aktion, die als Experiment mit avanciertester Technologie galt. Dass die GedichteHotline nun reaktiviert wurde, steht im Zusammenhang mit der Ausstellung "I John Giorno". An 13 Orten in ganz New York City zeigen Ausstellungen das Werk des Poeten, initiiert von dem Schweizer Künstler Ugo Rondinone, der seit 20 Jahren mit Giorno verheiratet ist. Schon 2015, anlässlich seines 80. Geburtstags, wurde ein komprimierter Teil aus den Archiven im Palais de Tokyo in Paris gezeigt und avancierte zum Publikumsmagneten.

Die neue Schau zeigt überall in der Stadt Gedichte, Gemälde und Installationen aus dem Archiv des Allrounders und verdeutlicht den Einfluss, den der gebürtige New Yorker seit 60 Jahren auf die Kulturszene am Hudson River hat.

Internationale Bekanntheit erlangte John Giorno vor allem als Muse von Andy Warhol in den Sechzigerjahren, für den er zehn Mal vor der Filmkamera performte. Berühmtester Streifen: "Sleep", ganze sechs Stunden nahm Warhol den Autor 1963 von allen Seiten beim Schlafen auf, da arbeitete Giorno noch als Börsenmakler.

In San Francisco läuft derzeit eine ähnliche Aktion, praktisch in die Jetztzeit übertragen. Bei "Send Me SFMOMA" kann man per SMS eine Telefonnummer antexten und bekommt nach Stichworten und Emoticons passende Kunstwerke aus der Sammlung des San Francisco Museum of Modern Art zugeschickt. Die SMS-Aktion funktioniert von Deutschland aus leider nicht (für SZ-Leser in den USA: 572-51), der Anrufbeantworter John Giornos ist aber auch von Deutschland aus erreichbar. Auf alte Technik ist eben Verlass.

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