Teil des NS-Systems:Mann der Widersprüche

Teil des NS-Systems: Seine kämpferischen Lieder sollten während des Nationalsozialismus die Jugend aufstacheln - Hans Baumann ist deshalb bis heute umstritten.

Seine kämpferischen Lieder sollten während des Nationalsozialismus die Jugend aufstacheln - Hans Baumann ist deshalb bis heute umstritten.

(Foto: IJB)

Eine Tagung zum bayerischen Autor Hans Baumann

Von Rieke Wiemann

Mit dem Ruf ist es so eine Sache. Ist er erst einmal ruiniert, wird man das nur schwer wieder los. Diese Erfahrung hat auch Hans Baumann gemacht. Bis heute erinnert sein Name nicht etwa an "Das Einhorn und der Löwe" oder "Affengeplapper" - zwei der mehr als hundert Kinderbücher, Fabeln, Märchen und Abenteuergeschichten, die der bayerische Schriftsteller bis in die Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts hinein geschrieben hat. Nein, wer den Namen Hans Baumann hört, denkt unwiderruflich an seine Hitlerjugend-Hymne "Es zittern die morschen Knochen" und ihren Refrain "Und heute gehört uns Deutschland,/ und morgen die ganze Welt".

Um die 300 solcher kriegstreiberischer Lieder hat Baumann während des Nationalsozialismus gedichtet. Millionenfach gedruckt, versetzten seine Verse eine ganze Generation in Rausch. Wie es dem Mann trotz seiner Verstrickung in das NS-System gelingen konnte, zu einem der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautoren der Nachkriegszeit zu avancieren, bleibt bis heute unverstanden.

Aufschluss könnte nun sein literarischer Nachlass geben, den seine Tochter Veronika Braune der Internationalen Jugendbibliothek in München vermacht hat; von Juni an steht er für Forschungen und Recherchen zur Verfügung. Einen Vorgeschmack auf die hinterlassenen Dokumente gab dort jüngst eine Tagung, die sich dem Werk des umstrittenen Autors widmete. Baumanns Nachlass enthält nicht nur Manuskripte zahlreicher Gedichte und Theaterstücke, sondern auch Briefe, etwa von Astrid Lindgren, Reinhard Michl, Janosch (der in Wahrheit Horst Eckert heißt) oder Hans-Joachim Gelberg.

Letzterer war Baumanns Verleger, Lektor - und Freund. Als einen erfolgsorientierten Mann, der "zurückhaltend war und stets mit leiser Stimme sprach", beschreibt Gelberg den früheren Jungvolkdichter. Einmal habe Baumann ihn sogar darum gebeten, für ihn einzutreten. "Obwohl ich mit ihm mitfühlen konnte, habe ich das nie getan", sagt der Gründer des Verlags Gelberg & Beltz, der als Fähnleinführer einst selbst begeistert Kampf-Lieder mitsang. "Stattdessen forderte ich ihn auf, es selbst zu tun." Doch in den 38 Jahren, die Baumann nach Kriegsende noch lebte, nahm er nie ausdrücklich Stellung zu seiner dunklen Vergangenheit - stritt sie aber auch nicht ab. Hatte Baumann zu wenig Charakter, um für seine nationalsozialistischen Texte einzustehen? Dass er überzeugter Nazi war, ist jedenfalls unleugbar.

Aufgewachsen in der tief katholischen oberpfälzischen Provinz, tritt Baumann 1927 der Amberger Jugendgruppe "Bund Neudeutschland" bei. Als 18-Jähriger schreibt er auf einer Wallfahrt nach Neukirchen "Es zittern die morschen Knochen" (1932) nieder, das später auch ein blauäugiger Junge in Bob Fosses "Cabaret" vor Alpenkulisse singen wird. Anfang 1934 ruft Baldur von Schirach das NSDAP-Mitglied dann in die Reichsjugendführung nach Berlin ein. Fünf Jahre lang arbeitet Baumann als Referent für ausländische Kulturarbeit, ehe er von 1939 an als Leutnant, dann als Oberleutnant in der Propagandakompanie 501 an der Ostfront dient.

Dass Baumann nach Kriegsende ausgerechnet Werke Leo Tolstois oder Jurij Korinecs übersetzt, ja sich als Vermittler der klassischen russischen Literatur etabliert, scheint ebenso widersprüchlich zu sein wie seine zweite Karriere als Kinderbuchautor. Doch trotz der Bemühungen, sich mit dem Genrewechsel ein neues Image zu schaffen, holt Baumann seine Nazi-Vergangenheit immer wieder ein. 1962 wird ihm für sein unter Pseudonym veröffentlichtes Drama "Im Zeichen der Fische" der Gerhart-Hauptmann-Preis aberkannt. Kurze Zeit später setzt sich die Lyrikerin Ingeborg Bachmann beim Piper-Verlag dafür ein, dass die Gedichte von Anna Achmatowa nicht in der Übersetzung von Baumann erscheinen - erfolglos.

Aber wie viel braunes Gedankengut steckt in den Baumann-Werken, die nach 1945 entstanden? Gibt es Zeichen von Umkehr, von Reue? Oder geht es bruchlos mit pathetischem Ausdruck weiter? Schließlich beginnt der Autor bereits nach nur kurzer Pause, historische Kinder- und Jugendbücher zu schreiben. Carsten Gansel, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Gießen, hat bereits mit den Nachlassmaterialien Baumanns gearbeitet und dabei Strategien der Verdrängung aufgedeckt. Anders als seine Zeitgenossen Wolfgang Borchert oder Günter Grass mache Baumann nicht etwa die Themen Schuld und Verbrechen zum Gegenstand seines Erzählens. Im Gegenteil: "Die zweite Schaffensphase Baumanns ist geprägt von einem Opfernarrativ", sagt Gansel. Insbesondere in dem 1961 erschienenen Bilderbuch "Der Bär und seine Brüder" beschönige Baumann sein Tun. Er sei "ein Künstler des Versteckens".

Doch nicht nur mit den Kinderbüchern versucht Baumann, seine Vergangenheit zu rechtfertigen. Auch seine Jugendromane handeln von Vertrauen, Verführung und Enttäuschung. Insbesondere in seinen bekanntesten Erzählungen "Ich zog mit Hannibal" und "Der große Alexanderzug" zeigt er sich weiterhin von charismatischen Herrscherfiguren fasziniert. Der Literaturhistoriker Winfred Kaminski kannte diese Werke natürlich, als er den Schriftsteller kurz vor seinem Tod in Murnau interviewte. Entgegen aller Erwartungen jedoch habe er einen "durchgeistigten" Menschen mit "freundlichem Lächeln" getroffen, sagt er, "keinen soldatischen Riesen". Die Begegnung mit Baumann sei seine eigenartigste, "weil widersprüchlichste" gewesen. Und so bleibt Baumann, auch nach dieser Tagung, als ein Mann der Gegensätze in Erinnerung.

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