Techno-DJ "Superpitcher":Mayday! Mayday! - Roger. Over.

Er ist der ruhende Pol inmitten eines dampfenden Wahnsinns aus Bier, Schweiß und zuviel Adrenalin. Sein Szene-Name ist "Superpitcher". Und er macht Musik. So gut, dass man vor Glück weinen möchte.

TOBIAS KNIEBE

Die Mission der Nacht ist simpel. Wir werden einen jungen Musiker treffen, der in den Clubs der Welt als große Hoffnung gilt. Sein Name ist Aksel Schaufler, er stammt von der Schwäbischen Alb, und wenn er Musik macht, heißt er Superpitcher. Wir wollen ihn beobachten, wie er auf der Riesenveranstaltung ¸¸Mayday" Platten auflegt, und anschließend mit ihm reden. Außerdem sollten wir sagen, dass wir ihn für ein Genie halten. Wir kennen Tracks von ihm, die sind so gut, dass man vor Glück weinen möchte. Wenn er nicht die Zukunft des Techno ist, sagen wir es offen, dann gibt es keine. Das Problem ist nur, dass man das nicht beweisen kann: Seine neue Platte heißt ¸¸Here Comes Love", aber sie sagt längst nicht alles. Er stürmt auch nicht die Charts, er füllt nicht die größten Hallen, und seine bisher besten Werke kann man nicht einmal kaufen - sie sind in kleiner Stückzahl auf Vinyl erschienen und inzwischen längst vergriffen.

Techno-DJ "Superpitcher": Superpitcher fühlt sich zum ersten Mal seit langem wieder frei.

Superpitcher fühlt sich zum ersten Mal seit langem wieder frei.

Wie er dann aber so erscheint, inmitten des dampfenden Wahnsinns aus Bier, Schweiß und Adrenalin, aus gröhlenden Bodybuildern und Mädchen mit Arschgeweih-Tattoos, ist sofort klar: Er ist etwas Besonderes. Ein Dandy, der nicht zu schwitzen scheint; ein Mann der sparsamen Bewegungen; ein Ästhet, dem die Haarfransen so tief in die Stirn fallen, dass sie die Hässlichkeit der Welt herausfiltern. Eine riesige, feingeschnittene Nase ragt aus seinem Gesicht, eine Nase, die einem Mann gar keine andere Wahl lässt, als ein Superstyler zu werden. Dann legt er auf, nicht in der Riesenstampfhalle fürs Fußvolk, sondern in der Arena für Eingeweihte. Es tanzen: Schlaksige Jungs mit ernsten Mienen. Und romantische, stilsichere Mädchen. Die Bodybuilder und die Arschgeweih-Tattoos sind nirgends mehr zu sehen. Die Stimmung ist gut, und doch wird man das Gefühl nicht los, dass er das Wesentliche zurückhält. Seine besten eigenen Tracks, die jetzt monstermäßig rocken würden - die spielt er zum Beispiel nicht.

Es gibt also ein paar Dinge, die wir ihn fragen müssen: Wer bist du? Wie machst du das? Wie kommt es, dass jene Stücke, die uns vor Glück zum Weinen bringen, auf deiner neuen Platte gar nicht auftauchen? Und wann gedenkst du, bitteschön, endlich die Welt zu erobern? Das muss allerdings warten. Wunderschöne Frauen mit VIP-Armbändchen umschwärmen und umarmen Superpitcher und er, der große Romantiker, flüstert ihnen Dinge ins Ohr. Nebendran steht Westbam, der ¸¸Mayday"-Boss und Massendompteur, und schaut neidisch. Sollte Superpitcher eines Tages richtig loslegen, dann weiß er, dass seine Zeit vorbei sein wird. Superpitcher schlägt schließlich vor, in ein nahegelegenes Hotel zu fahren, da könne man reden. Ein Mädchen namens Linda darf mitfahren. Sie ist Französin und sieht ungefähr so aus wie Natalie Portman.

Der Grund, warum Superpitcher die Welt noch nicht erobert, ist jetzt fast schon klar: Er hat bereits alles, was ein Mann sich wünschen kann. Einen anderen Grund erfährt man, wenn er von seiner neuen Platte spricht. Es sollte ganz einfach eine erste Platte sein, mit allen Unsicherheiten, Entblößungen und Verwirrungen, wie erste Platten eben so sind. Weshalb er die Monsterbasslinien, die Wahnsinnsbeats, die Riesenclubhymnen, zu denen er fähig ist, nur von Ferne anklingen lässt. Stattdessen holt er Charlotte Roche, die ihm ein trauriges deutsches Francoise-Hardy-Cover singt, und ansonsten singt er gleich selbst: Mit dünner, todesmutiger, sehr romantischer Stimme. ¸¸We don"t need people to be alone", heißt es da. Es ist nicht das Album, auf das die Clubwelt gewartet hat, es ist nicht: Das Monster. Sondern einfach ein großes Versprechen, das gerade um ein Jahr verlängert wurde. Aber Superpitcher fühlt sich zum ersten Mal seit langem wieder frei. ¸¸Du kannst ja sogar singen", sagte seine Mutter im schwäbischen Laichingen, als er ihr die Platte vorspielte. ¸¸Aber Mama", sagte Superpitcher, ¸¸ich tu doch nur so."

Diese Mutter ist sehr entscheidend für das, was Superpitcher ist. Sie gehört zu einer Sekte namens ¸¸Das Leben", die auf der Schwäbischen Alb einen starken Stützpunkt unterhält und Film, Fernsehen, Pop für Werke des Teufels hält. Aksel Schaufler wuchs ohne all das auf, mit sieben Geschwistern, in einer vormodernen Deprivation, einer experimentellen Versuchsanordnung zur Vermeidung von schädlichen Sinneseinflüssen - eine Art Kaspar Hauser des Pop. So kam es, dass er erst mit 17 Jahren, als er nach Ulm floh, so richtig mit der Gegenwart konfrontiert wurde, mit Guns"n"Roses und Nazareth, mit Brian Ferry, Neil Young und was immer sonst des Weges kam. Und das knallte so dermaßen rein in sein unschuldiges, unvorbelastetes Jungenhirn, dass er jahrelang die Fassung verlor. Als er sie wiedergewann, trat er als musikalisches Originalgenie in eine neue Phase seines Lebens ein - schon seine ersten Atari-Tracks wurden vom New Yorker Hip Hop-Label ¸¸Wordsound" veröffentlicht, das ihn auch gleich als ¸¸German Wunderkind" pries.

Dieses Wunderkind ist er noch immer. Alles Gefühl, Intuition, nichts begründbar oder erklärbar. Zwar denkt er viel, fast zu viel für die spezielle Art von Unschuld, die er zum Arbeiten braucht - aber er vermeidet es wie die Pest, musikalisches Fachwissen anzusammeln. Heißt dieser geniale Beat nun wirklich 6/8-Takt, war es wirklich Marc Bolan, der ihn erfunden hat? Tja, ganz ehrlich, vielleicht, keine Ahnung. Und dieser wunderbare Klang, wie hat er den hingekriegt? Sehr lang probiert, mehr kann er nicht sagen, Techniker und Frickler sind schließlich das Grauen, nichts hasst er mehr. Es geht um: Stimmungen, Träume. Nichts anderes. Und darum, den Urknall zu wiederholen, der entsteht, wenn in einem siebzehnjährigen Hirn plötzlich Pop explodiert. Dafür ist er nun, endlich, bereit. Alles rauslassen. Nichts mehr zurückhalten. Die Welt rocken, jawoll. Die letzten Fragen, eine Frau wie Linda darf man nicht länger warten lassen, nicht als Romantiker, nicht als Mann. Wird das Monster kommen? Oder anders: Wirst du, Superpitcher, Techno retten, gerade jetzt, wo die Totengesänge langsam anschwellen? Aksel Schaufler lächelt leise. Das Monster wird kommen, sagt er dann. Verlass dich darauf.

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