"Tatort" nach Brand in Ludwigshafen:Tatmotiv: Gehorsam

Vorauseilend oder pietätvoll? Der SWR zeigte den türkischen "Tatort", der vor zwei Monaten vertagt wurde, nachdem in Ludwigshafen neun Türken bei einem Hausbrand starben.

Ferda Ataman

Vorauseilender Gehorsam bei den Öffentlich-Rechtlichen: Der Türken-Tatort "Im Schatten der Angst" (SWR) wurde vor zwei Monaten verschoben, weil am Schauplatz des Krimis wenige Tage zuvor ein Haus brannte und neun türkische Menschen starben. Nicht nur in Ludwigshafen roch es damals tagelang nach Feuer. Lange konnte ein fremdenfeindlicher Anschlag nicht ausgeschlossen worden. Der Brand wurde zum Politikum - und mit ihm damals der SWR-Tatort.

Am Sonntag nun lief das Werk. Die Frage nach der Ausstrahlung des - eigentlich ganz netten - Migrantenkrimis lautet: War die Verlegung notwendig?

SWR-Intendant Peter Boudgoust begründete seine Entscheidung damals mit "Rücksicht vor der Trauergemeinde" und der "Gefahr, dass eine herausragende Tatort-Produktion völlig falsch verstanden wird". Falsch verstanden? Im Ludwigshafener Tatort wird Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) mit einer jungen zwangsverheirateten Türkin konfrontiert, deren Mann ermordet wurde. Der Film hat nicht das Geringste mit Brandanschlägen und Fremdenfeindlichkeit zu tun.

Dennoch ist die Angst des Intendanten nachvollziehbar.

Der Brandkatastrophe ging ein anderes Ereignis voraus, das die Tatort-Sendeanstalt vorsichtig hat werden lassen: Die Hannoveraner Episode "Wem Ehre gebührt" wurde nach der Ausstrahlung vor Weihnachten zum Gegenstand eines Eklats. Der Krimi wollte besonders differenziert sein und auf die alevitische Glaubensgemeinschaft unter den Muslimen in Deutschland aufmerksam machen.

Vorurteile

Dumm nur, dass in der fiktiven Geschichte der alevitische Familienvater seine eigene Tochter sexuell missbraucht - das kam den jahrhundertealten Vorurteilen der schiitischen und sunnitischen Muslime entgegen, die Aleviten seien inzestuös. Die Folge war eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung der Alevitischen Gemeinde gegen die ARD.

"Im Schatten der Angst", der jüngste Tatort, hat allerdings weder das Zeug zur Volksverhetzung noch zur echten Provokation. Eigentlich versucht der Film auf fast rührende Weise, sensibel an das Thema heranzugehen. Der Ehrenmord wird aus familiärer Liebe nicht begangen. Und streckenweise sieht es fast so aus, als solle der Film dem deutschen ARD-Publikum die kulturelle Unterdrückung der Frau bei den Türken erklären. "Bei uns nimmt man eben Rücksicht auf die Gefühle der Älteren, die eigenen Wünsche sind unwichtig", sagt sinngemäß Derya Celik - zwangsverheiratet und heimlich schwanger von einem Deutschen.

Natürlich wäre es übertrieben zu erwarten, dass der Türken-Krimi ohne stereotype Klischees auskommt: Der große Bruder sieht aus, wie ein großer türkischer Bruder im Bilderbuch aussehen würde: unfreundliches Gesicht, dunkle Haut, noch dunklere Haare, eine Bodybuilderfigur, die mit der obligatorischen Goldkette geschmückt ist. Auch der Vater entspricht dem typischen Bild vom Gastarbeiter und redet nicht gern mit der deutschen Kommissarin. Doch viel mehr als die üblichen, berechtigten Beschwerden von modernen Türken - "Warum immer nur Holzschnitt-Türken im Fernsehen?" - hätte es wohl kaum gegeben.

Angst

Doch der Sender hatte nach zwei Monaten wohl immer noch Angst vor der eigenen Courage: Bei der Ausstrahlung am Sonntag "vorauseilte" die ARD wieder und wollte demonstrieren, dass sie um den sensiblen Stoff weiß. Während des Films wurde mehrfach eine Einladung für das moderierte Diskussionsforum im Internet eingeblendet. Und: Der Film sei dort noch eine Woche lang als Video-on-Demand abrufbar. "Wir glauben, dass das Bedürfnis, sich zu äußern, wird groß sein", sagt Annette Gilcher vom SWR zu sueddeutsche.de.

Tatsächlich scheint es ein Kommunikationsbedürfnis zu geben. Doch bei vielen vor allem deswegen, weil der Krimi zunächst verschoben wurde. Die meisten Kommentare im Forum zum "Tatort" finden sich in der Rubrik "gesellschaftlich relevantes Thema" und klingen verärgert und aggressiv: "Ein Tatort mit fiktionaler Handlung wird verschoben, weil wir die Gefühle der Türken respektieren müssen. Sind wir bereits Gäste im eigenen Land?"

Quote

Ein anderer findet die Veschiebung "einfach unerklärlich", seine Meinung: "ZENSUR!!!". Manche fanden den Krimi auch "richtig gut gelungen", "äußerst realistisch". Hier müsse "Aufklärung betrieben werden" - Aufklärung vor allem mit Blick auf das außenpolitische Thema: "EU - Beitritt der Türkei? Nein Danke!", steht da. Viele mäßigere Diskuttanten finden den Film "eher langweilig".

Paradox an dieser deutsch-türkischen Episode ist: Der Großteil der Reaktionen auf den Tatort kam nicht von Türken, sondern von Deutschen, die sich vor allem darüber aufregen, dass ein Film verschoben wurde, damit sich die Türken nicht aufregen. Das wiederum müsste eigentlich viele Türken kränken.

Verschieben oder nicht verschieben? Es den Deutschen oder den Türken recht machen? Was ist politisch korrekt? Diese Fragen werden wohl auch in Zukunft eine Rolle spielen. Öffentlichkeitswirksam ist so eine Diskussion allemal. Mit 7,55 Millionen Zuschauern war "Im Schatten der Angst" am Sonntag die meistgesehene Sendung im Fernsehen.

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