Tania Bruguera:Rettung für den Sozialismus

Cuban artist Tania Bruguera reads from Hannah Arendt's book 'The Origins of Totalitarianism' as part of a 100-hour collective reading in Havana ; Tania Bruguera

"Meinem Land fehlt eine Vision" - Bruguera, geboren 1968, ist eine der bekanntesten Künstlerinnen Kubas.

(Foto: Enrique de la Osa/Reuters)

"Meinem Land fehlt eine Vision" - die oppositionelle kubanische Künstlerin wurde mehrmals verhaftet. Hier spricht sie über Zensur, das Diktat des Geldes und den Verrat an der Revolution.

Interview von Boris Herrmann

Tania Bruguera gehört zu den bekanntesten Künstlerinnen Kubas - und zu denen, die die meisten Schwierigkeiten mit der Regierung von Raúl Castro haben. Sie stellt international aus, war unter anderem in der Tate Modern in London, im MoMA PS1 in New York und auf der Documenta11 in Kassel zu sehen. Nur in ihrer Heimat muss sich die Performance-Künstlerin ihr Publikum auf ungewöhnliche Art erkämpfen.

SZ: Auf der Biennale von Havanna sind gerade 300 Künstler aus aller Welt vertreten. Warum sind Sie nicht dabei?

Tania Bruguera: Das müssen Sie die Behörden fragen. Ich habe hier seit fünf Jahren Probleme mit der Zensur.

Es heißt: Du weißt, dass du hier nicht erwünscht bist.

Sie haben eine Gegenveranstaltung in Ihrer Wohnung organisiert.

Ich habe ein Internationales Institut für aktive politische Kunst, gegründet, das ich "Institut Hannah Arendt" nenne. Zum Auftakt haben wir Arendts "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" gelesen, am Stück. Es dauerte 100 Stunden. Wir wechselten uns ab. Jeder konnte mitmachen. Sie lasen über einen Lautsprecher, der zur Straße hinaus gerichtet war.

Meine Wohnung wird genauso abgehört wie mein Telefon. Da kann ich das, was ich zu sagen habe, auch gleich öffentlich vortragen. Am Ende wurde ich für ein paar Stunden festgenommen. Da konnte jeder sehen, wie der Totalitarismus funktioniert.

Warum Hannah Arendt in Havanna ?

Weil ich glaube, dass dies ein Moment ist, in dem sich Kuba wieder mit der Theorie auseinandersetzen muss. Hier herrscht ein gewaltiger Pragmatismus, sowohl in der Regierung als auch im Volk. Es ist Zeit, dass sich Kuba neu definiert. Wer sind wir? Wer wollen wir sein?

Von außen wird Kuba als ein Land im Aufbruch wahrgenommen. Ein autoritäres System, das sich öffnet.

Im Moment werden viele Fantasien gesponnen. Nach dem Motto: Jetzt kommen die Amerikaner, jetzt wird alles gut. Es stimmt, das Leben vieler Leute hat sich ein bisschen verbessert. Aber die neuen Geschäfte, die mit den USA gemacht werden, teilen sich regierungsnahe Leute untereinander auf. Alle guten Posten werden per Zeigefinger verteilt. Deshalb habe ich Präsident Castro im Dezember einen öffentlichen Brief geschrieben.

Mit welcher Forderung?

Ich habe gar nichts gefordert. Ich habe bloß eine einfache Frage gestellt: Was wird mit Kuba passieren? Diese Frage ist doch nicht konterrevolutionär.

Sie wurden trotzdem verhaftet.

Ja, dreimal innerhalb von vier Tagen.

Vielleicht weil Sie Ihren Brief mit einer Performance auf dem Revolutionsplatz verbunden haben. Sie haben da ein Mikrofon aufgestellt, damit die Leute ihre Verbesserungsvorschläge machen konnten.

Am Ende war es nicht mehr meine Performance. Die eigentliche Idee war, die Hoffnung des Momentes zu nutzen, kurz nachdem Barack Obama und Raúl Castro die Annäherung verkündet hatten. Aber die Regierung hat der Performance mit den Verhaftungen einen neuen Sinn verliehen.

Kuba hat der Welt bewiesen, dass es immer noch hart durchgreifen kann.

Im Grunde geht die Performance bis heute weiter. Ich wurde wegen eines Mikrofons verhaftet, und nun hören sie mit ihren Mikrofonen meine Wohnung ab.

Haben Sie Angst?

Ich bleibe dabei, dass ich nichts Schlechtes getan habe. Als ich eingesperrt wurde, konnte ich die Ungerechtigkeit regelrecht spüren. Das kann einen körperlichen Schmerz auslösen, eine physische Reaktion. Das war so stark, dass kein Platz da war, um Angst zu entwickeln.

Es gibt in Havanna Künstler, die meinen, dass Ihre Aktionen weniger dem kubanischen Volk als dem Ruhm von Tania Bruguera dienen.

Diese Leute gibt es, ja. Aber ich werde mich weiterhin auflehnen. Ich mache das, weil ich finde: Meinem Land fehlt eine Vision.

Ihre Kritiker betonen, dass Sie die meiste Zeit in New York oder Paris leben.

Ich bin kubanische Bürgerin und seit Februar kann ich nicht ausreisen. Sie haben mir den Pass weggenommen. Wenn ich nach New York wollte, müsste ich mit einem Schlepperboot abhauen. Aber was die Künstler angeht: Die Regierung macht das ganz geschickt, das muss man ihr lassen.

Was meinen Sie?

Seit 15 Jahren wird hier eine Kulturpolitik betrieben, die eng mit dem Kunstmarkt verbandelt ist. Das ist eine brillante Technik, die künstlerische Klasse einzulullen. Diese Klasse hat immer Privilegien genossen. Die konnten reisen, Geschäfte machen, Häuser kaufen. Wenn du ein Künstler bist, der ein Haus mit Meerblick hat, zwei Autos und ein Jahreseinkommen von 30 000 Dollar, dann hast du etwas zu verlieren. Die Probleme dieser Künstler haben nichts mit den Problemen der Leute da draußen zu tun. Sie werden nicht über die Frau an der Straßenecke sprechen, die den ganzen Tag nichts gegessen hat.

So war das mit der Revolution aber nicht gedacht.

Ich glaube, dass Raúl letztlich Fidel politisch getötet hat. Die Revolution als utopisches und soziales Projekt ist beendet. Das Ergebnis ist dieses Theater, dass uns gerade vorgespielt wird, um an das Geld der Nordamerikaner heranzukommen. Wozu aber waren all die Opfer gut, um nach 57 Jahren doch wieder an den Anfang zurückzukehren?

Sie fordern weniger einen großen Wandel als die Rettung des Sozialismus, wie er einmal war?

Exakt. Wir haben hier eine Kultur geschaffen, die nur auf Geld ausgerichtet ist. Aber niemand soll glauben, dass die normalen Leute bei diesem Wettbewerb mithalten können. Hier gibt es so viele Menschen mit einer guten Ausbildung - und das Einzige, was ihnen übrig bleibt, ist Friseur, Schuhputzer oder Taxifahrer zu werden. Ich habe lange genug in New York gelebt, um zu wissen, dass das Geld keine Lösung ist. Ich begreife nicht, warum Kuba das System kopieren muss, das nicht funktioniert hat.

Vielleicht weil es mehr Freiheiten schafft?

Man kann hier jetzt kleine Geschäfte machen, qué bien! Bald wird es eine Fähre nach Florida geben und Direktflüge nach New York! Aber ich kenne mindestens vier kubanische Künstler, die in den USA leben und denen der Besuch der Biennale verweigert wird. Weil sie sich kritisch geäußert haben. Das sind Menschen mit einem kubanischen Pass, die ihr eigenes Land nicht betreten dürfen. Was für ein Wandel soll das denn bitte sein?

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