Tam Tam:Mit der Fräse ins Vinyl

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Das Musikprojekt "Schnitt" im Tanzlokal der Kammerspiele

Von Jürgen Moises, München

Vor etwa 20 Jahren schien es noch so, als wäre die Schallplatte bald Geschichte. Als würde man Vinyl-Platten zusammen mit der zugehörigen Technik wie dem Plattenspieler oder der Vinyl-Schneidemaschine bald nur noch im Museum finden: Irgendwo neben Thomas Edisons Phonografen, mit dem er vor 140 Jahren "Mary Had A Little Lamb" aufnahm, und Emil Berliners Grammofon, das der deutsch-jüdische Erfinder vor 130 Jahren patentieren ließ. Es kam dann doch ein bisschen anders, weil die kreisrunde Klangscheibe, wie sich zeigte, ein paar sehr leidenschaftliche Verehrer hat.

Zu diesen Verfechtern der Schallplatte darf man auch Moritz Illner zählen, der am Freitag als Teil des Experimentalduos Schnitt im Tam Tam Tanzlokal in den Kammerspielen auftritt. Moritz Illner lebt als Master Engineer, Tontechniker, Label-Mitbetreiber und Musiker in Augsburg. Im dortigen Duophonic-Studio produziert und schneidet er seit mehr als zehn Jahren Schallplatten. Und seit 2012, damit wären wir bei der Besonderheit von Schnitt, macht er das auch auf der Bühne. Das heißt, Illner fräst dort mit einer Schallplatten-Schneidemaschine live erzeugte Töne und Geräusche in Vinyl. Für diese Töne sorgt der diplomierte Trompeter und Gitarrist Markus Christ, den man auch als Bandmitglied der Augsburger Noiseband Kitty Empire kennt und von anderen Projekten wie Kazz oder Der Herr Polaris. Das, was Christ zu weiten Teilen an Musik oder Geräuschen improvisiert, nimmt Moritz Illner aber nicht nur einfach auf. Sondern er benutzt die in Vinyl gefrästen Musikfetzen als Klangmaterial und lässt sie als Loops oder sich steigernde Klangschichten wieder in den Konzertprozess einfließen.

Das musikalische Ergebnis bewegt sich irgendwo zwischen Noise, Jazz, Postrock und Minimal Music. Es klingt auf jeden Fall nie gleich. Das ist für Moritz Illner auch das Spannende daran: dass ein Auftritt von Schnitt "nie hundertprozentig planbar wird". Genauso lässt sich das, was an Schönem oder Einzigartigem auf der Bühne entsteht, "nie mehr genau so" reproduzieren. Man könnte das Sampling mit analogen Mitteln nennen, und unter erschwerten Bedingungen. Denn so eine Vinyl-Schneidemaschine ist als Instrument doch ein eher sperriger Apparat. Es ist auf jeden Fall ein Apparat, der auffällt, und mit dessen Live-Einsatz Illner auch erreichen will, dass man gewohnte Gegensätze wie "Reproduktion vs. Live" und "Bühne vs. Studio" hinterfragt. "Die Schallplatte ist ja normalerweise dazu gedacht, ein fertiges Werk zu speichern. Bei uns entsteht durch sie das Werk erst."

Gedacht war Schnitt ursprünglich nur als einmaliges Event. Nach mehreren Auftritten, unter anderem mit der Augsburger Musikerin und Lyrikerin Lydia Daher, verstehen sich Moritz Illner und Markus Christ inzwischen als Band. Auch ein richtiges Album gibt es seit ein paar Monaten. "Ømuås" heißt es, ist bei Kollaps-Records erschienen und enthält auf der A-Seite eine in zehn Kapitel unterteilte, 16-minütige "Session", die zwar im Studio, aber laut Illner auf ähnliche Weise wie die Live-Stücke entstanden ist. Auf der B-Seite kann man sich die einzelnen Vinyl-Loops anhören, auf denen die Session als Gesamtkomposition beruht. Das heißt, auch hier wird das Produktionsverfahren sichtbar oder genauer: hörbar gemacht. Die bei den Konzerten jeweils spontan entstehenden Loops gibt es übrigens ebenfalls zu kaufen, als Unikate, denn ein jeder davon wird nur ein einziges Mal gefräst.

Schnitt , Freitag, 20. Januar, 22 Uhr, Tam Tam Tanzlokal der Kammerspiele, Falkenbergstraße 1

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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