"Tage am Strand" im Kino:Passender Wein, passender Waschbrettbauch

Tage am Strand Kino

Strand, Salzwasser und Alkohol als magische Essenzen: Roz (Robin Wright) mit ihrem Liebhaber Ian (Xavier Samuel), dem Sohn ihrer Freundin Liz.

(Foto: dpa)

Zwei Mütter, zwei Söhne und Liebe über Kreuz: Wie die vor Kurzem verstorbene Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing einmal das Inzesttabu ausgetrickst hat - und wie daraus der sehr hedonistische Film "Tage am Strand" wurde.

Von Philipp Stadelmaier

Manchmal reicht etwas gesunder Menschenverstand, um sich und die Seinen glücklich zu machen. Das demonstrieren Andy Samberg und Justin Timberlake in ihrem Song "Motherlover". Der Muttertag steht an, doch ihre heiß geliebten Mütter sind hochgradig sexuell frustriert. Leider können sie den Job nicht selbst übernehmen. Über Kreuz lässt sich das Inzesttabu aber prima austricksen: "For me you're like a brother / so be my mother's lover", singen sie. Die Mütter sind entzückt. Happy Mother's Day.

Ihren Müttern unvergessliche Muttertage und -nächte zu bescheren, das ist auch die Aufgabe zweier Söhne in "Tage am Strand". Was aber bei Samberg und Timberlake als humoristischer Geistesblitz zweier geiler Rotzlöffel vorbeihuscht, ist hier ungleich zeitintensiver.

Der Film beginnt rasant, um dann voll abzubremsen und seine romantische Zäsur über ein ganzes Leben auszudehnen. Innerhalb von einem Schnitt werden aus Lil und Roz, die zusammen in einem australischen Badeort aufwachsen und als Mädchen am Strand einen ersten Kuss austauschen, junge Mütter mit jungen Söhnen. Die Jungs springen in die Wellen, aus denen sie als jugendliche Surfgötter wieder auftauchen. Ihre fünfzehn Jahre älteren Mütter bewundern sie vom Strand aus.

Die Regisseurin Anne Fontaine verliert keine Zeit, um zu diesem zentralen Phantasma zu kommen, um es dann über die restlichen neunzig Minuten extrem zu entschleunigen. Ein Abend mit reichlich Weißwein genügt, um die Sache in Gang zu bringen - oder ihr Ende möglichst weit hinauszuschieben.

Der Film basiert auf der Novelle "The Grandmothers" der kürzlich verstorbenen Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing, und wie in ihrem Hauptwerk "Das goldene Notizbuch" stehen in Liz und Roz auch hier zwei starke, freie Frauen im Mittelpunkt. Die Ehemänner (und Väter) sind tot oder abwesend. Aus denjenigen, die schon immer wie Brüder waren, werden Liebhaber der Mutter des jeweils anderen, die ihrerseits immer schon wie Schwestern gewesen sind: Über Kreuz gelegt, miteinander multipliziert und ins Unendliche potenziert entwickeln ihre symbiotischen Verhältnisse eine erotische Autarkie, befestigt vom soliden Fundament eines sublimierten Inzests.

Ausnahmezustände ohne Zukunft

So wird das Leben zum unbegrenzten, sorgenfreien Lebensabend am Strand. Geld ist kein Problem, richtige berufliche Ambitionen scheint niemand zu haben. Die Söhne machen Theater und bauen Yachten - nebenher.

Dass ältere und wohlhabende Frauen mit schönen jungen Männern schlafen, hat man dieses Jahr im Kino schon einmal gesehen, in den "Schönen Tagen", die Fanny Ardant ebenfalls in Strandnähe verbrachte, in Nordfrankreich. Während Ardant aber französischen Spitzenrotwein süffelte, bevorzugen Naomi Watts und Robin Wright australischen Chardonnay.

Zu diesem Hedonismus dieses Kinos der Reichen, das im Animieren und Aufheitern eines entsprechenden älteren Publikums seinen Zweck findet und in dem der passende Wein zur passenden Gegend und zum passenden Waschbrettbauch serviert wird, gehört aber auch ein Maß an Luzidität, das Fanny Ardant sich bewahrt hatte: ein Wissen darum, dass solche erotischen Ausnahmezustände keine Zukunft haben.

In "Tage am Strand" sieht das etwas anders aus. Strand, Salzwasser und Alkohol sollen hier magische Essenzen sein, deren Zweck es ist, den sonnigen Augenblick dieser wunderschönen älteren Frauen mit ihren Adonis-Söhnen für immer einzubalsamieren. Aber kann das gelingen, wenn dann irgendwann natürlich jüngere Frauen im Leben der Söhne auftauchen?

Da ist es eine schöne Casting-Idee, gerade Naomi Watts und Robin Wright zu besetzen. Watts wird bald als Prinzessin Diana zu sehen sein - als unsterbliche Ikone, die aber vor dem Tod keineswegs gefeit war. Und Robin Wright hatte unlängst in "The Congress" eine Schauspielerin gespielt, die ihr altersloses digitales Bild einem Filmstudio verkauft hatte - was natürlich keinen Schutz vor dem eigenen Altern bot.

Irgendwann sehen das die beiden Mütter ein. Sie glauben, sich damit ebenso gut arrangieren zu können wie Fanny Ardant. "Ab sofort werden wir respektable Mitglieder der Gemeinde sein", sagen sie sich. Das klingt aber fast schon zu sehr nach dem "Gentlemen's Agreement", mit dem einst in Ernst Lubitschs "Design for Living" andere respektable Herrschaften eine unmögliche Sexgeschichte beenden wollten. "But I'm no gentleman" - das war der letzte Satz von Lubitschs Film.

Adore, F/AU 2012 - Regie: Anne Fontaine, Buch: Christopher Hampton, Fontaine, nach einer Novelle von Doris Lessing. Kamera: Christophe Beaucarne. Naomi Watts, Robin Wright. Concorde, 112 Min.

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