Tag der offenen Tür:Dem Traum so nah

Tipps und Zutrauen geben: Einen Tag lang präsentiert sich die Hochschule für Fernsehen und Film einem großen Publikum. Rund 1600 Interessierte kommen, um sich über die fünf Studiengänge zu informieren und ein wenig die Scheu zu verlieren, sich für einen Platz an der renommierten Schule zu bewerben

Von Hannah Vogel

Den Vorlesungssaal findet Jonas Maus intuitiv, ohne das wegweisende rote Klebeband oder die Raumnummer an der Sichtbetonwand beachten zu müssen. Gedankenverloren wirkt er, bis er Platz nimmt in einem der weichen roten Sessel. Statt darin zu versinken, schlägt er die Beine übereinander und lehnt sich leicht der Bühne entgegen, als dürfe ihm an diesem Samstagmorgen kein Wort entgehen. Bettina Reitz tritt ans Rednerpult, lässt ihren Blick über die vollen Reihen schweifen, bevor sie mit ihrer Ansprache zum Tag der offenen Tür beginnt. "Es gibt gute Gründe sich für den Beruf des Filmemachers zu interessieren", sagt die Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). "Wenn Sie ein neugieriger Mensch sind, wenn sie Phantasie haben und kreativ sind. Wenn Sie immer wieder dazu lernen wollen und sich gerne mit Menschen austauschen. Aber auch Geschichten finden möchten und erzählen wollen, die für die Welt wichtig sind."

Jonas Maus hört ihr aufmerksam zu, dabei kennt er die Gründe nur zu gut. Zum vierten Mal ist er bereits bei einem Tag der offenen Tür an der HFF, der Schule, die etwa Doris Dörrie, Bernd Eichinger oder Roland Emmerich absolviert haben und die zu den renommiertesten deutschsprachigen Filmhochschulen zählt. Der Traum des 16-jährigen Schülers ist es, an der HFF zu studieren und Filmemacher zu werden - für einen Tag fühlt er sich diesem ein Stückchen näher. Mit drei Jahren hatte er das erste Mal die Kamera seines Vaters in der Hand und drehte die ersten, wackligen Szenen. Wenn er davon erzählt, schleicht sich Unsicherheit in seine sonst so selbstsichere Stimme, als wäre es ihm unangenehm, von dieser Erinnerung zu erzählen. "Das klingt so albern", sagt er.

"Hier an der Hochschule gibt es so viele Egos, Emotionen und ernste Hoffnunge"

Mehr als 1600 Besucher sind nach Angaben der HFF zum Tag der offenen Tür gekommen, um sich mehr als sieben Stunden lang über die fünf Studiengänge zu informieren. Viele unter ihnen haben ähnliche Träume wie Jonas Maus: möchten Regisseur, Drehbuchautor oder Kameramann werden. Entweder sind sie alleine oder in Begleitung ihrer Eltern erschienen. Aber nicht nur junge Besucher interessieren sich für ein Studium an der Hochschule, sondern auch solche, bei denen das Abitur schon einige Zeit zurückliegt. Durch den Tag der offenen Tür möchten Mitarbeiter und Studenten ihnen nicht nur ihren Alltag zeigen, sondern auch Befürchtungen ausräumen. "Manche Besucher sind verunsichert, haben vielleicht eine Schwellenangst: Bin ich überhaupt geeignet für so ein Studium? Wir hoffen, dass durch die Gespräche mit uns ein Zutrauen entsteht", sagt Vizepräsident Michael Gutmann.

Fragen der Besucher beantworten mehrere Studenten, vor deren Tisch in der Empfangshalle sich mitunter lange Schlangen bilden. Ein paar Schritte weiter im Seminarraum Vier erhalten die Studienanwärter Tipps für ihre Bewerbung. Die Mitarbeiter raten dazu, sich nicht zu früh zu bewerben, sich nach dem Abitur ein Jahr dafür Zeit zu nehmen. "Sie sollten Lebenserfahrung und eine gefestigte Persönlichkeit mitbringen", empfiehlt Gutmann. "Das brauchen sie, um sich durchzusetzen. Hier an der Hochschule gibt es so viele Egos, Emotionen und ernste Hoffnungen." Natürlich geben die Professoren auch Einführungen in die verschiedenen Studienfächer. Teilweise sind diese so überfüllt, dass die Besucher stehen müssen oder sich sitzend auf dem Boden drängen.

Besonderes Interesse besteht an dem Skype-Gespräch mit Michael Coldewey, der seit März 2015 visuelle Effekte und Animation an der HFF lehrt, aber aus beruflichen Gründen derzeit in Hollywood ist. Während es in München früher Nachmittag ist, beginnt es im Laufe des Gesprächs bei Coldewey erst zu dämmern. Er zeigt eine Szene des Films "Avengers: Age of Ultron", an dem er selbst mitgearbeitet hat, in zwei Fassungen. Zuerst die Version, die bereits im Kino zu sehen war und anschließend das Rohmaterial der Produktionsfirma. Der Unterschied ist gravierend - alle visuellen Effekte und Animationen verschwunden. Jonas Maus verfolgt fasziniert das Geschehen auf der Leinwand und die Ausführungen von Coldewey. Seine Augen richten sich auf den Kreis, den der Professor mit einem speziellen Programm um eine unbearbeitete Stelle zieht. Dort fehlt eine Fensterscheibe, weil im Film die Kamera durch diese hindurchtaucht. Nun ähnelt das angehaltene Bild ein wenig der Auflösung des Kinderspiels "Finde den Fehler". "Wie teuer war diese Szene?", fragt ein Besucher. Eine Einstellung wie diese könne mehrere Hunderttausend Euro kosten, erklärt der Professor.

Über ein solches Budget für Produktionen ihrer Studenten verfügt die HFF nicht. Trotzdem lässt sich viel realisieren, was der Einzelne schwer alleine stemmen kann. Jonas Maus hofft, hier irgendwann seine Projekte umsetzen zu können. Momentan arbeitet er an drei Drehbüchern gleichzeitig, notiert Einfälle, Dialoge und filmt einzelne Szenen. "Aber ich kann alleine und ohne finanzielle Unterstützung natürlich keinen 90-Minüter drehen", sagt er. Weitere Anregungen für seine Arbeit erhält er bei der Einführung zum Studiengang Drehbuch und bei der Vorlesung "Creative Writing". "Schreiben ist wie einen Muskel zu trainieren", erklärt dort Maya Reichert, die künstlerische Mitarbeiterin des Lehrstuhls. Sie empfiehlt den Studienanwärtern, offen zu sein für ihre Umgebung. "Wenn ich jemanden Interessantes sehe, geht bei mir im Kopf sofort ein Film los", sagt Reichert. Ein ähnliches Erlebnis hatte wohl auch Studentin Charlotte Funke, die beim Tag der offenen Tür ihren Film "Eric der Soldat" zeigt. Bei einer Mitfahrgelegenheit nach Berlin lernte sie ihn kennen und porträtierte den jungen Matrosen. Nach der Vorführung beantwortet Funke Fragen des Publikums. Ihr Film ist einer von zwölf, die in den Kinosälen laufen. Hinzu kommen noch mehrere von Studenten produzierte Werbeclips.

Als Abschluss des Tages der offenen Tür an der HFF diskutieren fünf Absolventen über "Wenn Plan B glücklicher macht als Traum A - Berufsbilder und ihre Alternativen". Viele von ihnen haben sogar mehr als nur einen Wechsel durchlebt, in der Filmbranche sind sie trotzdem geblieben. Jonas Maus ist überzeugt von seinem Plan A. "Dennoch habe ich heute viele neue Informationen erhalten, durch die ich weiter versuche zu entschlüsseln, wo meine Zukunft liegen wird", sagt der junge Mann mit dem großen Traum.

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